Wie können sich Bürgerinnen und Bürger in Katastrophensituationen über soziale Medien vernetzen und Hilfe organisieren? Und wie können sich Unternehmen durch überbetriebliche Vernetzung schützen? Das will eine interdisziplinäre Forschergruppe an der Uni Siegen herausfinden.
Der 21. Januar 2013 ist vielen Menschen in Siegen noch gut in Erinnerung. Ein Brand bei der Vermittlungsstelle der Deutschen Telekom legte damals zahlreiche Kommunikationswege lahm. 500.000 Menschen sowie hunderte Unternehmen waren tagelang von Telefon und Internet abgeschnitten, die Internetseiten von Behörden und Rettungsdiensten offline, die 110 und 112 außer Betrieb und der lokale Radiosender außer Betrieb. Die von ForscherInnen der Uni Siegen entwickelte Facebook-Seite der Kreisleitstelle funktionierte dagegen: Sie wurde auch von der Bevölkerung rege genutzt, um sich über die aktuelle Situation zu informieren. Wie sich BürgerInnen und Unternehmen in Katastrophenlagen über soziale Medien vernetzen können, möchte eine Forschergruppe der Uni Siegen jetzt genauer untersuchen. Das Projekt „KontiKat“ (Zivilgesellschaftliche und betriebliche Kontinuität durch sozio-technische Vernetzung in Katastrophenlagen) wird vom Bundesministerium für Bildung von Forschung (BMBF) mit rund 2,77 Millionen Euro gefördert.
„Wir freuen uns sehr, dass unser Projekt den Zuschlag bekommen hat. Eine Förderung in dieser Höhe ist schon etwas Besonderes und eröffnet uns tolle Möglichkeiten“, sagt der Leiter der neuen Forschergruppe, Dr. Christian Reuter vom Institut für Wirtschaftsinformatik der Uni Siegen. „Wie können Freiwillige über soziale Medien schnell und einfach Hilfe organisieren? Wie kommen sie mit Hilfsbedürftigen zusammen? Und wie können sich Unternehmen vernetzen und in Notlagen gegenseitig unterstützen? Diese Fragen möchten wir klären und entsprechende Konzepte dafür entwickeln.“ Nicht nur technische Pannen oder Unwetter können rasch ganze Infrastrukturen lahmlegen, betont Reuter. „Auch Terrorismus und Cyberangriffe stellen heute eine große Gefahr dar und führen schnell zu massiven Störungen. Mit unserem Vorhaben wollen wir dazu beitragen, die Auswirkungen solcher Ereignisse möglichst gering zu halten.“
Sechs Nachwuchs-WissenschaftlerInnen der Uni Siegen arbeiten im „KontiKat“- Projekt zusammen, ProfessorInnen aus verschiedenen Disziplinen unterstützen sie dabei als fachliche Mentoren. Beteiligt sind neben dem Bereich „Computergestützte Gruppenarbeit“ auch die Fächer „Wirtschaftsinformatik und Neue Medien“, Medienwissenschaften, Betriebswirtschaftslehre und Germanistik. „Durch Interviews und die Auswertung empirischer Daten möchten wir zunächst herausfinden, welche Medien und Plattformen BürgerInnen und Betriebe nutzen und wie sie jeweils vernetzt sind“, erklärt der Projektleiter. Auf der Basis dieser Erkenntnisse sollen dann konkrete Unterstützungs-Konzepte entwickelt und technisch umgesetzt werden. Auch mögliche externe Störfaktoren wie die so genannten „Fake News“ gelte es dabei zu berücksichtigen, sagt Reuter: „Falschmeldungen verbreiten sich im Internet mit rasender Geschwindigkeit und können gerade in Katastrophensituationen großen Schaden anrichten.“
Kleine und mittlere Unternehmen könnte eine bessere Vernetzung im Krisenfall auch vor finanziellen Schäden bewahren. Störungen im Kundenkontakt oder bei den internen betrieblichen Abläufen gehen schnell in die Millionen. Im Unterschied zu großen Konzernen sind viele kleinere Unternehmen bei Katastrophenlagen nicht optimal abgesichert, haben Reuter und seine KollegInnen festgestellt: „Häufig neigen sie dazu, die Komplexität solcher Krisen zu unterschätzen und verlassen sich bei der Bewältigung ausschließlich auf ihr direktes Umfeld.“ Im Rahmen von „KontiKat“ sollen den Unternehmen Wege aufgezeigt werden, sich mit anderen Betrieben zu vernetzen und die Situation gemeinsam zu meistern. „Wir möchten den Betrieben dazu einfache und effiziente Instrumente zur Verfügung stellen, die wir anschließend gemeinsam mit ihnen umsetzen und erproben werden“, sagt Reuter.
Hintergrund:
Das Projekt „KontiKat“ der Uni Siegen ist insgesamt auf vier Jahre angelegt. Es wird im Rahmen des Programms „Zivile Sicherheit – Nachwuchsförderung durch interdisziplinären Kompetenzaufbau“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert – als eine von insgesamt fünf Forschergruppen in ganz Deutschland. Assoziierte Partner sind unter anderem das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), die IHK Siegen, Katastrophenschutzbehörden in Siegen und Frankfurt und verschiedene Unternehmen. Weitere Informationen zu dem Projekt gibt es im Internet, unter www.kontikat.de.
Ansprechpartner:
Arbeitsgruppenleiter Dr. Christian Reuter (Institut für Wirtschaftsinformatik Uni Siegen)
E-Mail: christian.reuter@uni-siegen.de
Unternehmen, die im Projekt einbezogen werden möchten, können sich gerne melden. Studierende der genannten Fachrichtungen können im Rahmen von Abschlussarbeiten mitwirken.
Bild: Dr. Christian Reuter (Universität Siegen) und Staatssekretär Stefan Müller MdB (Bundesministerium für Bildung und Forschung) bei der Übergabe des Förderbescheids am 22.6.2017 in Berlin.
Quelle: http://www.uni-siegen.de/start/news/forschungsnews/771457.html