IANUS steht für naturwissenschaftlich-technische Friedens- und Konfliktforschung an der Technischen Universität Darmstadt; oftmals interdisziplinär unter Einbeziehung der Sozial- und Geisteswissenschaften. Der IANUS-Preis würdigt herausragende Qualifikationsarbeiten aus allen Fachrichtungen der TU Darmstadt. Eingereicht werden konnten bis zum 31. Juli 2024 Qualifikationsarbeiten (insbesondere Studien-, Projekt-, Bachelor-, Masterarbeiten, Publikationen oder Dissertationen), die seit August 2022 abgeschlossen wurden und sich mit IANUS-relevanten Fragestellungen beschäftigen.
Zahlreiche sehr gute Einreichungen aus verschiedenen Fachbereichen und -gebieten der TU Darmstadt kamen in die Endauswahl für den IANUS-Preis 2024. Bei sämtlichen eingereichten Arbeiten wurde die Qualität sowie der Bezug zur IANUS-Ausschreibung von allen Mitgliedern der Auswahlkommission bewertet: Prof. Dr. Markus Lederer (Internationale Politik), Prof. Dr. Malte Göttsche (Naturwissenschaftliche Friedensforschung), Prof. em. Dr. Alfred Nordmann (Philosophie der Technowissenschaften) und Prof. Dr. Dr. Christian Reuter (Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit). Bei Befangenheit wirkte das jeweilige Mitglied nicht mit. Nach Auswahl preiswürdiger Arbeiten wurde nach detaillierter Betrachtung eine Einschätzung vorgenommen.
Die Jury kam zu dem Entschluss, dieses Jahr vier Arbeiten mit dem IANUS-Preis 2024 auszuzeichnen: Dr.-Ing. Sara Al-Sayed, Dr. rer. nat. Thomas Reinhold, Dr. rer. pol. Anjuli Franz, und Philipp Rall, M.Sc.
Die Preisverleihung erfolgte im Rahmen des akademischen Viertels am Mi. 11. Dezember 2024.
- 1. Platz: Dr.-Ing. Sara Al-Sayed für ihre Masterarbeit im Studiengang Technik und Philosophie mit dem Titel „Citizen Monitoring and the Entrenchment of the Nuclear Order: Foucault’s “Panopticon” and Winner’s “Autonomous Technology” as Two Approaches to Understanding Their Relationship“, betreut von Prof. em. Dr. Alfred Nordmann. Technologische Entwicklungen, wie schnelle drahtlose Internetverbindungen, hochauflösende kompakte Kameras und kommerzielle Satelliten, haben es zivilgesellschaftlichen Akteuren ermöglicht, nuklearwaffenbezogene Aktivitäten weltweit zu überwachen – eine Fähigkeit, die traditionell mächtigen Regierungen vorbehalten war. Diese Akteure, hauptsächlich in den USA und im Westen ansässig, arbeiten mit offenen Quellen und Methoden und veröffentlichen ihre Analysen über öffentliche Medienkanäle. Während diese Praxis gemeinhin gelobt wird, argumentiert die Arbeit, dass sie zur Verfestigung der nuklearen Ordnung beiträgt. Mit Langdon Winners Begriff der „autonomous technology” wird gezeigt, wie die nukleare Ordnung, als technisches System, sich der demokratischen Kontrolle entzieht. Des Weiteren wird Michel Foucaults „Panopticon” verwendet, um die Rolle der zivilen Überwachung in der Legitimierung der Politik mächtiger Akteure und der damit einhergehenden Verfestigung der nuklearen Ordnung aufzuzeigen. Schließlich erörtert die Arbeit Vorschläge für eine emanzipatorische Praxis der zivilen Überwachung.
- 1. Platz: Dr. rer. nat. Thomas Reinhold für seine Dissertation im Fachbereich Informatik mit dem Titel „Towards a Peaceful Development of Cyberspace – Challenges and Technical Measures for the De-escalation of State-led Cyberconflicts and Arms Control of Cyberweapons“, betreut von Prof. Dr. Dr. Christian Reuter, mit dem Korreferenten Prof. Dr.-Ing. Volker Roth (Fachgebiet Secure Identity an der Freien Universität Berlin). Die Dissertation befasst sich mit der Frage, wie Maßnahmen zur Deeskalation von staatlich geführten Konflikten im Cyberspace und zur Rüstungskontrolle von Cyberwaffen entwickelt werden können. Dafür nimmt die Dissertation eine spezifisch technische Perspektive auf diese Probleme und die zugrundeliegenden politischen Herausforderungen von staatlichem Verhalten und humanitärem Völkerrecht im Cyberspace ein, um Ansatzpunkte für technische Maßnahmen der Transparenz, Rüstungskontrolle und Verifikation zu identifizieren. Basierend auf dem Ansatz, bereits existierende technische Maßnahmen aus anderen Bereichen der Informatik zu übernehmen, liefert die Dissertation Proof-of-Concept-Ansätze für einige der genannten Herausforderungen. Dazu gehört ein Klassifizierungssystem für Cyberwaffen, das auf technisch messbaren Merkmalen basiert, um den Begriff der Waffe als eine wesentliche Voraussetzung für deren Regulierung im Cyberspace ein- und abgrenzen zu können. Ferner wird ein Verfahren zur gegenseitigen Reduzierung von Vulnerability-Stockpiles zwischen staatlichen Akteuren als Transparenz- und Rüstungskontrollmaßnahme präsentiert sowie ein Ansatz zur plausiblen Versicherung der Nichtbeteiligung eines staatlichen Akteurs an einem Cyberkonflikt als Maßnahme der Deeskalation vorgestellt. Die Dissertation liefert damit auch Impulse zur Verantwortung und zu den Gestaltungsmöglichkeiten der Informatik im Hinblick auf eine friedliche Entwicklung und Nutzung des Cyberspace.
- 2. Platz: Dr. rer. pol. Anjuli Franz für ihre Dissertation im Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften mit dem Titel „Human-centered Information Security and Privacy: Investigating How and Why Social and Emotional Factors Affect the Protection of Information Assets“, betreut von Prof. Dr. Alexander Benlian, mit dem Korreferenten Prof. Dr. Dr. Christian Reuter. In ihrer Dissertation erforscht Anjuli Franz Mechanismen zur Verbesserung des IT-Sicherheitsverhaltens von Nutzer:innen. Sie entwickelt speziell Tooldesigns zur besseren Erkennung von Phishing-Angriffen sowie zur Förderung der Meldung von Sicherheitsvorfällen, und präsentiert ein verhaltensbasiertes Messinstrument zur Echtzeit-Analyse von IT-Sicherheitsbewusstsein, ergänzt durch eine Langzeitevaluation in der Praxis. Ihre Arbeit beleuchtet zudem die gegenseitige Abhängigkeit von Nutzer:innen untereinander beim Schutz ihrer Informationssicherheit und Privatheit in einer vernetzten Welt und untersucht soziotechnische Faktoren, die den Umgang mit persönlichen Informationen Dritter beeinflussen. Mit diesem zukunftsorientierten, mensch-zentrierte Ansatz positioniert Anjuli Franz Nutzer:innen sowie Organisationen als souveräne Akteure im digitalen Zeitalter und leistet einen signifikanten Beitrag zur Sicherheitsforschung in Theorie und Praxis.
- 2. Platz: Philipp Rall, M.Sc. für seine Masterarbeit im Studiengang Informatik mit dem Titel „Online-Protest als Indikator für Offline-Protest? Die Verbreitung von #FeesMustFall in Südafrika – eine Twitter Analyse“, betreut von Laura Guntrum, M.A. und Prof. Dr. Dr. Christian Reuter. Die Masterarbeit untersucht Zusammenhänge von Protest im Internet auf Plattformen wie X (ehemals Twitter) und Protest auf der Straße. Im Fokus stehen folgende Fragen: Können Protest-Tweets als Indikator für aufkommende Proteste auf der Straße dienen? Unterstützen sie die geographische Verbreitung von Protesten? Welche Eigenschaften der Tweets sind hierfür relevant? Diesen Fragen geht die Arbeit anhand des Fallbeispiel der studentischen #FeesMustFall- Proteste 2015 in Südafrika nach. Zur Analyse des lokalen Protestgeschehens wird Südafrika in Teilgebiete unterteilt, denen durch Lokalisierung 500.000 Tweets und 90 Proteste zugeordnet werden. Es zeigt sich eine klare wechselseitige Beziehung zwischen Protest im Internet und auf der Straße, besonders der Anteil weiterverbreiteter Tweets ist ausschlaggebend. Die Arbeit zeigt durch die Nutzung von Methoden aus der Informatik neue Möglichkeiten zur differenzierten, quantitativ-geographischen Analyse großer Protestdatenmengen auf.