„Ein reiner Cyberkrieg zwingt den Gegner kaum zum Aufgeben?“
Als großer „Cyber War“ wird der Ukrainekrieg wohl nicht in die Geschichte eingehen. „Zur Überraschung vieler“ habe es bisher wenige „harte“ Digitalattacken auf kritische Infrastruktur gegeben, sagt Christian Reuter, Informatikprofessor an der TU Darmstadt. Beobachtet worden seien Überlastungsangriffe „mit 10 000 Bots“ – automatisch arbeitenden Computerprogrammen – auf ukrainische Regierungswebsites. Doch zum Durchtrennen der Lebensadern des Landes benutzen die russischen Invasoren wie in vorigen Kriegen lieber Bomben, Raketen und Granaten. Reuter, dessen Lehrstuhl die Widmung „Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit“ trägt, wundert das nicht. „Es ist relativ unwahrscheinlich, dass man mit einem reinen Cyberkrieg einen Gegner zum Aufgeben zwingen kann.“ Ernst genommen werden müssten die Gefahren durch Onlineattacken aber auf jeden Fall.
Einen offenen Cyberangriff Russlands etwa auf Deutschland hält der Forscher zwar für unwahrscheinlich. Wohl aber könnten Hackergruppen mit russischer Unterstützung aus der Anonymität des Internets heraus den Westen ins Visier nehmen. Solche Aktionen ließen sich gut verschleiern, und digitale Waffen wie das Schadprogramm „Hermetic Wiper“, das Rechner komplett unbrauchbar machen kann, seien viel billiger und leichter zu beschaffen als ein Panzer. Dass es durch derartige Angriffe zu einem totalen Blackout komme, sei nicht undenkbar, meint Reuter. Unterbrechungen von Telekommunikation und Energieversorgung könnten „enorme Kaskadeneffekte“ auslösen. Gefährdet seien vor allem mittelständische Unternehmen wie etwa Wasserwerke, die oft weniger in IT-Sicherheit investierten als internationale Konzerne.
Auf jeden Fall zeigt die aktuelle Diskussion über Cyberrisiken für Reuter die Wichtigkeit seines eigenen Arbeitsgebiets: In Deutschland gebe es außer seiner nur zwei weitere Professuren für naturwissenschaftliche Friedensforschung. Darin sehe auch der Wissenschaftsrat, der Bund und Länder berät, einen „eklatanten Mangel“. zos.
Vollständiges Interview mit Prof. Volker Nitsch, Prof. Andrea Gawrich und Prof. Christian Reuter: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/forschung-fuer-den-frieden-17859384.html
FAZ, 8.3.2022