Nach den Sabotagen der Nordstream-Pipelines liegt der öffentliche Fokus aktuell auf maritimer Infrastruktur. Dies schließt auch die Frage ein, wie auch Seekabel, die 99 Prozent des internationalen Internetverkehrs transportieren, künftig geschützt werden können. Im Radiointerview mit hr-iNFO wurde PEASEC-Forscher Jonas Franken von Moderator Matthias Dechner am 28.09.2022 zur maritimen Abhängigkeit, der Angreifbarkeit maritimer KRITIS und möglichen Lösungsansätzen befragt:

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Infrastrukturen, die auf dem Seegrund liegen oder dort befestigt sind, sind vielfältig: Seekabel für Kommunikation und elektischen Strom, Off-Shore Windparks und Gezeitenkraftwerke, Pipelines für Gas und Öl, Ölbohrplattformen, wissenschaftliche Sonarinstallationen und Schifffahrtssignale. Den Ozean teilen sie sich mit zahlreichen weiteren Akteuren der Fischerei und des Seehandels. Die meisten Schäden werden an maritimen Infrastrukturen rühren von diesen Raumkonflikten, wenn etwa durch Unfälle unbeabsichtigt Infrastrukturen beschädigt werden. Das gleichzeitige Auftreten von Lecks an Pipelines ist jedoch sehr unwahrscheinlich und die akustischen Daten der Ostsee deuten stark auf Explosionen im Umfeld der Pipelines Nordstream 1 und 2 hin, was eine gezielte Sabotage sehr wahrscheinlich macht.

Derartige Sabotagen unter See haben das Potenzial, den Fluss gesellschaftlich essenzieller Güter wie Energie, Warenverkehr oder Internetzugang zu beschränken. Seekabel wie auch Pipelines liegen am Seegrund recht ungeschützt und abhängig von der Seetiefe haben die Kabel die Dicke eines Asts oder sogar nur eines Gartenschlauchs. Die weltweit 1,2 Mio Kilometer Seekabel sind können aufgrund ihrer Lage und Länge nicht dauerhaft bewacht werden, wie es häufig bei anderen wichtigen Infrastrukturen zu Land getan wird.

Lösungsansätze für Sichere Maritime KRITIS

Jonas Franken schlägt vier Lösungsansätze vor, die langfristig für mehr Sicherheit für Infrastrukturen am Seegrund sorgen können. Erstens sollten Netzwerke redundant konstruiert sein, was die klassische Strategie für Infrastrukturen darstellt, die schwierig zu reparieren sind. Durch gleichwertige, alternative Wege (weitere Kabel, Pipelines) werden Möglichkeiten der Umleitung gegeben. Seekabel werden mit hoher Sendungsleistung konstruiert, dass sie sich ökonomisch 25 Jahre rechnen können. Das bedeutet, dass viele Kabel Kapazitäten kurzfristig zuschalten können, sollte ein anderes ausfallen. Die meisten Länder Europas müssen sich aufgrund ihrer engen Vernetzung zu Land und in See im Alltag nicht sorgen. Satellitentechnologien können außerdem punktuell Abhilfe schaffen, aber bieten bei weitem nicht die Kapazitäten um Seekabel völlig zu ersetzen. Hinschtlich der Pipelines ist das Netz deutlich loser, wodurch weniger Redundanz und mehr sog. Single-Points-of-Failure bestehen. Ein sicheres, engmaschiges Netz benötigt aktive Entscheidungen zum Ausbau resilienterer Architektur mit vielen Alternativrouten, allerdings zu ökonomischen Mehrkosten.

Zweitens können regelmäßige Patroullien die Wahrscheinlichkeit des gleichzeitigen Ausfalls verringern: Wie PEASEC kürzlich in einer kooperativen Studie für das Europäische Parlament festgestellt hatte, ist eine gezielte Sabotage in stark vernetzten und damit hochredundanten Kontexten nur erfolgreich, wenn das Netz an mehreren Punkten zeitgleich beschädigt wird. Das führt zur Notwendigkeit der längeren Planung und zu steigender Komplexität der Operationen, die im Grund nur staatliche Akteure erfüllen können. Daher müssen entweder mehr spezialisierte Unterseefahrzeuge parallel eingesetzt werden oder Sprengsätze nacheinander angebracht werden, die zeitgleich zünden. Um letztere zu erkennen wäre es sinnvoll, die Kabel regelmäßig durch eigene Fahrzeuge zu überwachen. Bestenfalls sind diese unbemannt, in Zukunft ggf. autonom, um Kabel und darüber liegendes Sediment auf Unregelmäßigkeiten zu prüfen. Zivilen Technologien fehlt derzeit allerdings die Reichweite, um die enormen Distanzen der Pipelines und Seekabel zu befahren.

Drittens können Reparaturkapazitäten ausgebaut werden: Reparaturschiffe für Seekabel sind rar, auch in Europa, wie die Aufstellung des ISCPC zeigt. Bei koordinierten, gleichzeitigen Ausfällen wäre es kaum möglich, viele Seekabel schnell zu fixen. Mehr spezialisierte Schiffe können Abhilfe schaffen, sind aber teuer. Außerdem ist nicht immer eine ausreichende Ersatzteillage für Kabelsektionen und Verstärker gegeben.

Viertens können Seekabel selbst als Sensor konstruiert werden indem sie zum Abhorchen der Umgebung mit Hydrophonen ausgestattet werden. SMART (Sensor Monitoring And Reliable Telecommunications) Cables existieren bereits, sind für Telekommunikationsunternehmen aber nicht ökonomisch. Ein Mehrwert für Forschung und Seeraumüberwachung insgesamt liegt aber im staatlichen Interesse.

Generell bestehen aufgrund der allgemeinen „Seeblindheit“ große Wissens- und Forschungslücken hinsichtlich der Untersee-Infrastrukturen. Sicherheitsakteure müssten langfristig einen besseren Überblick haben, welche maritime KRITIS wo liegt, welche Akteure Sabotagekapazitäten haben und wie Ausfallszenarien ablaufen. „Präventiver Schutz unserer maritimen Infrastrukturen ist aufwändig, teuer und undankbar. Doch mittlerweile ist das Internet derart essentiell für das Funktionieren unserer Gesellschaft und Wirtschaft, dass ein Ausfall zu große Folgen hätte, um weiter untätig zu bleiben.“, beurteilt Jonas Franken die Lage.

hr-Info Interview: Gefahren am Seegrund und Lösungen für mehr Sicherheit Maritimer Infrastrukturen