Prof. Dr. Klaus Lieb (Leibniz-Institut für Resilienzforschung), Prof. Dr. Anke Jentsch (Universität Bayreuth), Justus Nover (Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung), Prof. Dr. Christian Reuter (TU Darmstadt), Prof. Dr. Ursula Münch (APB)

Der Begriff „Resilienz“ ist in aller Munde. Für jedes System und jede Disziplin wird Resilienz eingefordert. In Anbetracht der aktuellen Krisen ist dies nicht verwunderlich. Die Tagung „Resilienz: Neue Orientierung für das Wissenschaftssystem?“ der Akademie für Politische Bildung und des Wissenschaftsrats hat sich mit der Bedeutung von Resilienz für die Wissenschaft auseinandergesetzt. Dabei gehen unterschiedliche Disziplinen verschieden mit dem Begriff um. Einig sind sie sich darin, dass Resilienz wichtig ist – für den einzelnen Menschen, die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Ökosysteme und die digitale Infrastruktur.

Resilienz ist in den vergangenen Jahren zum Modewort geworden. Ursprünglich kommt er aus der Materialwissenschaft und beschreibt die Rückkehr eines Materials in seinen Ursprungszustand nach einer Verformung. In den vergangenen 50 Jahren ist die Rezeption darüber hinaus immens gestiegen. Heute wird der Begriff multidisziplinär in Natur- und Sozialwissenschaften verwendet. Selbst im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung steht er sechsmal.

Doch was bedeutet „Resilienz“ für die Wissenschaft? Die teilnehmenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Tagung „Resilienz: Neue Orientierung für das Wissenschaftssystem?“ der Akademie für Politische Bildung und des Wissenschaftsrats haben über die Definition und Anwendung des Resilienzbegriffs in Psychologie, Ökonomie, Ökologie und Digitalisierung diskutiert. Dabei wurden Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede deutlich.

Psychologie – Resilienz als Standard

Wir alle sind immer wieder mit Stresssituationen konfrontiert. In zwei Drittel der Fälle erholen sich betroffene Personen schnell davon oder spüren gar keine Auswirkungen. Sie zeigen sich resilient. Klaus Lieb vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz erklärt, dass Resilienz die erwartbare Reaktion auf Belastungen ist. In der Psychologie wird sie als „Aufrechterhaltung beziehungsweise schnelle Rückgewinnung der psychischen Gesundheit nach Stresssituationen“ definiert, sie ist immer ein „Outcome“, eine Folge von Belastung. Dennoch kann potentiell jeder irgendwann an einen „Kipppunkt“ kommen. Das heißt, dass eine Belastung das System, den Menschen, langfristig verändert. Auch Personen, die bei vorherigen Belastungen resilient reagiert haben, können erkranken. Hier setzt meistens die Therapie an. Lieb betont, wie wichtig es sei, in der Behandlung auf individuelle Bedürfnisse einzugehen, den Kipppunkt ausfindig zu machen und gezielt zu therapieren. Noch besser ist aber die Prävention. Mögliche Resilienzfaktoren, die helfen, den Kipppunkt nicht zu überschreiten, sind „aktives Coping“, also die positive Herangehensweise an Lösungsfindung, eine optimistische Einstellung, oder auch die „Selbstwirksamkeit“, die Kenntnis darüber, dass man schon zuvor Krisen gemeistert hat.

In der Corona-Pandemie stieg die psychische Belastung gesamtgesellschaftlich. Wie die Resilienzforschung bereits vermutete, stieg die Zahl der Erkrankungen aber nur leicht. Die meisten Menschen waren resilient. „Resilienzverläufe sind auf verschiedene Ebenen spiegelbar“, vermutet Lieb. Die persönlichen Verläufe aus der Resilienzforschung ließen sich in der Pandemie auf die Gesellschaft anwenden. Dabei konnten Risikogruppen identifiziert werden: Junge Menschen, Frauen und Vorerkrankte waren psychisch stärker belastet. Generell wurde es in Phasen des intensiven Pandemiegeschehens schwieriger, Resilienz zu zeigen. Die Studien des Resilienzinstituts fanden aber auch Schutzmechanismen, die während der Pandemie die Resilienz der Bevölkerungen stärkten. Die soziale Unterstützung, obwohl man sich nicht persönlich begegnen konnte, war dabei besonders wichtig. Auch eine positive Neubewertung der Situation half Betroffenen, leichter durch die Pandemie zu kommen. Zudem wirkten sozioökonomischen Faktoren auf die Resilienz. Wer Haus und Garten hat, kam besser durch die Pandemie. Lieb sieht einen gesellschaftlichen Auftrag, gegen diese Ungleichheit zu arbeiten. Generell hat sich gezeigt, was in der Psychologie schon zuvor bekannt war: Wer bereits Krisen durchgestanden hatte, kam leichter durch die Pandemie. Für Kinder und Jugendliche war die Belastung daher größer.

Mit Blick auf das Wissenschaftssystem warnt Lieb vor vorschnellen Studienergebnissen und falschen Wahrnehmungen. Die Pandemie habe langfristig weniger Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, als zwischenzeitlich propagiert wurde. Nur die Ergebnisse der Forschung hinken meist hinterher, sodass eine Richtigstellung nicht schnell genug möglich war. Weiterhin bleiben Forschungsfragen zur Pandemie und darüber hinaus bestehen: Welche Faktoren werden relevant, wenn verschiedene Krisen zusammenkommen? Solche Fragen könnten in einem interdisziplinären Deutschen Zentrum für Risikobewertung und Resilienz untersucht werden, welches Lieb fordert.

Ökonomie – Flexibilität in Krisenphasen

Justus Nover, Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, zählt die Krisen der vergangenen Jahre auf: Finanzkrise, Staatsschuldenkrise und nicht zuletzt die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. „Erstens sind Krisen nicht vollständig vermeidbar und zweitens kommen sie oft aus unerwarteten Richtungen“, stellt er fest. Die Antwort auf Krisen ist die ökonomische Resilienz. In der Definition spielen drei Faktoren eine Rolle. Die Vorbereitung auf den möglichen Schock, die Milderung währenddessen, zum Beispiel durch staatliche Unterstützung, und anschließend die Anpassung des Systems an neue Gegebenheiten. Nover erklärt: „Ein Schock tritt abrupt ein, wird meist von exogenen Faktoren bestimmt, wie im Falle der Pandemie durch das Virus, und benötigt Krisenbewältigungsstrategien, keine Krisenvermeidung.“ Die Ökonomie versucht, die Resilienz messbar zu machen, indem sie Länder miteinander vergleicht. Dabei fällt auf, dass unterschiedliche Staaten auch unterschiedliche Schwerpunkte setzen, welcher Teil eines Systems resilient sein muss. In Deutschland zielt die soziale Marktwirtschaft darauf, Arbeitslosigkeit nach einem Schock zu entgegnen, in den USA ist das Ziel eher, das BIP möglichst schnell wieder zu steigern. In der Krise gibt es verschiedene Determinanten, die die Resilienz verbessern können: Die öffentlichen Finanzen zur Hilfeleistung sowie die gegebene Infrastruktur bedingen auf makroökonomischer Ebene, die Flexibilität von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf mikroökonomischer Ebene, wie gut auf einen Schock reagiert werden kann. Für eine Resilienzstrategie der Ökonomie fasst Nover drei wichtige Elemente zusammen: Es muss eine gesellschaftliche Zielfunktion formuliert werden; die verschiedenen Krisenphasen von Vorbereitung über Milderung bis zur Anpassung müssen betrachtet werden; und die unterschiedlichen Ebenen von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft müssen zusammen und flexibel agieren. So ist die Krisenbewältigung möglich.

Ökologie – Gemeinschaften wappnen sich für Extremereignisse

Die Ökologie, sagt Anke Jentsch, Professorin für Störungsökologie an der Universität Bayreuth, sieht das Thema der Resilienz weniger als Wertung. „Kipppunkte“ und „Schocks“ sind erstmal nur Veränderungen, die als „Extremereignisse“ bezeichnet werden. Resilienz bedeutet dann, dass ein System seine funktionale Stabilität angesichts eines Extremereignisses behält. Klar ist, dass sich Extremereignisse in Zukunft wegen des Klimawandels häufen werden. Die Erdtemperatur erhöht sich, was in Mitteleuropa dazu führt, dass das Wetter variabler und extremer wird und noch schwieriger vorherzusagen ist. Resilienz ist daher in der Ökologie ein hochgefragtes Thema. Besonders die Frage, wie Gemeinschaften mit Veränderungen umgehen, wird dabei untersucht. Jentsch stellt die Forschungswelt der Ökologie an einem Beispiel vor. Eine Pflanzengemeinschaft wurde jeweils mit verschiedenen Extremereignissen konfrontiert. Anschließend wurden die unterschiedlichen Mengen der beinhalteten Pflanzenarten ausgezählt und mit Kontrollgruppen verglichen. Intuitiv erwartet man vielleicht, dass ein System, das mit einem Extremereignis konfrontiert wird, kurzzeitig zusammenbricht. Die Ökologie stellt etwas anderes fest. Jentsch erklärt, dass bei Pflanzengemeinschaften fast keine Auswirkungen auf die Funktionalität des Systems zu beobachten sind. Das liegt an dem Mechanismus der „komplementären Paare“ in der Gemeinschaft. Kommt es zu Umweltveränderungen, können die Leistungsträger innerhalb dieses Paares wechseln, sodass beide Arten und das Gleichgewicht der Gemeinschaft weiterhin bestehen.

Wichtig für den Erhalt einer Gemeinschaft bei Extremereignissen sind die Redundanz und die Unterschiedlichkeit der Gruppenmitglieder. So kann das Gleichgewicht des Systems erhalten bleiben, auch wenn es individuelle Veränderungen gibt. Eine Gemeinschaft ist resilient, wenn sie divers ist und die Unterschiedlichkeit der Mitglieder bei wechselnden Extremereignissen die Funktionalität des Systems erhalten kann. In der Forstwirtschaft bedeutet das, dass mit Blick auf sich in Zukunft verstärkende Extremereignisse wie Sturzfluten, Dürren oder Insekteninvasionen, ein „Team der Zukunft“ gebildet wird, welches aus Baumarten besteht, die als Gemeinschaft möglichst resilient bei diesen Herausforderungen bestehen können, erklärt Jentsch.

Digitalisierung – Resilienz als Plan B für den Ausfall

„Digitale Resilienz ist die Planung für den Ausfall, sozusagen der Plan B“, sagt Christian Reuter, Professor für Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit an der TU Darmstadt. Ausfälle können nie komplett verhindert werden, demnach müssen wir uns auf sie vorbereiten. Flexibilität und Anpassbarkeit werden zu wichtigen Eigenschaften eines Systems. In unserer digitalen Welt hängen viele Systeme voneinander ab. Bei Ausfall von einem Bestandteil, kann es also zu vielen weiteren Ausfällen kommen. Vor allem die Elektrizität ist ein Schlüsselelement, auf das viele Strukturen des täglichen Lebens aufbauen. Trotz dieser großen Interdependenzen diagnostiziert Reuter ein „Verletzlichkeitsparadoxon“. Wir haben verlernt, dass Systeme ausfallen und sind auf den Ernstfall nicht vorbereitet. Dabei kommt dieser immer wieder vor, Beispiele wie die Flut im vergangenen Jahr oder Brände in Vermittlungsstellen der Telekommunikation zeigen es uns.

Maßnahmen, die das System resilienter machen und im Ernstfall helfen, gibt es auch. Sogenannte „Inselsysteme“, die in sich geschlossen funktionieren und nicht auf Clouds oder externe Anschlüsse angewiesen sind, sichern den lokalen Zugriff auf Daten bei Ausfällen. Und auch in der Telekommunikation gibt es Ansätze wie „EmerenCITY“, bei denen durch peer-to-peer Vernetzung von Smartphones kurzzeitig ein eigener Netzaufbau möglich ist, der als Überbrückung dient bis die Versorgung wiederhergestellt ist.

Quelle: https://www.apb-tutzing.de/news/2022-03-31/resilienz-wissenschaft-krisenbewaeltigung

 

Resilienz in der Wissenschaft – Wie unterschiedliche Disziplinen zur Krisenbewältigung forschen – Eindrücke der Tagung der Akademie für Politische Bildung und des Wissenschaftsrats