Erschienen in der 338. Ausgabe des GI-Radar am 30.06.2023: https://gi-radar.de/338-cell-broadcast/
Bevölkerungswarnung, Cell Broadcast und Warn-Apps: Unterschied und Zukunft.
Im Fokus dieser Ausgabe steht das Thema Bevölkerungswarnung und warum mit der Einführung von Cell Broadcast (bbk.bund.de) nicht alle Probleme gelöst sind. Zwar ist eine große Erreichbarkeit durch Cell Broadcast (tagesschau.de) im Vergleich zu Warn-Apps (bbk.bund.de) gegeben, es gibt aber durchaus Potenzial und gute Gründe sowohl für Warn-Apps als auch für neue Ansätze.
Cell Broadcast zur Warnung der Bevölkerung in Deutschland ist nur ein Teil des Warnmittel-Mix.
Spätestens nach der Flutkatastrophe an der Ahr im Jahr 2021 wurden auch in Deutschland die Rufe nach Cell Broadcast lauter; schließlich existiert die Technologie schon seit 1999 und wird bereits seit 2012 in den Niederlanden eingesetzt. Auch wenn schnellere und zuverlässigere Warnungen vermutlich nicht alle Todesfälle in 2021 hätten vermeiden können, hat das Ereignis doch als Katalysator für die Einführung gedient. Somit wurden die Warnmittel, inklusive Cell Broadcast, am Warntag 2022 (8. Dezember) getestet und ab dem 23. Februar 2023 basierend auf der EU-Verordnung (wikipedia.org) eingeführt. Zuvor hatte Deutschland versucht, die Anforderungen der EU-Verordnung durch die bereits 2015 eingeführte Warn-App NINA (bbk.bund.de) zu erfüllen. Diese erfüllt die Anforderungen der EU allerdings nicht im Hinblick auf die Abdeckung und die Warnung von Besucherinnen und Besuchern im Land.
Mit Cell Broadcast kann inzwischen auf fast jedem Smartphone gewarnt werden. Warnungen kommen gezielt an jene Smartphones, die jeweils an einem Mobilfunkmast im betroffenen Gebiet angemeldet sind. Das geschah bereits 77-mal in den ersten 100 Tagen, im Schnitt alle 36 Stunden (golem.de). Während sich Cell Broadcast sehr gut eignet, um bei akuten Krisen, auch im Falle eines Internetausfalls, textbasiert zu warnen (bbk.bund.de), werden mit der Technologie nicht alle Ziele des Bevölkerungsschutzes bedient.
Das Problem der Vorbeugung.
Warnungen sind für die Bevölkerung in Krisen essenziell, jedoch hilft auch die schnellste Warnung nur bedingt, wenn keinerlei Vorkehrungen getroffen wurden. So empfiehlt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe beispielsweise, jederzeit Lebensmittel- und Getränkevorräte für mindestens 10 Tage oder auch einen gepackten Rucksack als Notgepäck bereit zu halten (bbk.bund.de). Solche allgemeinen Tipps können schlecht über Cell Broadcast übermittelt werden, da das System nur bei akuten Gefahren aktiviert wird. In Warn-Apps hingegen sind Präventionstipps gut integrierbar, sodass die Apps neben der eigentlichen Warnfunktionalität vielfältige Motivationsstrategien nutzen können, um Nutzerinnen und Nutzer zu einer Auseinandersetzung mit Krisenprävention zu animieren (peasec.de). Derzeit werden diese Ansätze in den Apps nicht umgesetzt, sondern es werden lediglich Informationen zur Krisenprävention bereitgestellt.
Zwar haben viele Menschen noch keine Warn-Apps auf ihren Smartphones installiert, Studien zeigen jedoch eine steigende Tendenz und auch den Nutzen der Apps: Die Bevölkerung ist gegenüber Warn-Apps generell positiv eingestellt ist und sieht Vorteile für ihre Sicherheit (peasec.de). Auch im europäischen Vergleich werden Warn-Apps insbesondere in Deutschland und in Finnland angenommen und von über 25% der Bevölkerung genutzt (peasec.de, css.ethz.ch).
Informationsgehalt & Personalisierung.
Damit Warnungen ernstgenommen und den Hinweisen Folge geleistet wird, müssen die Warnungen insbesondere Vertrauen genießen, persönlich relevant und präzise und informativ sein. Zu kurze Nachrichten führen häufig dazu, dass Nutzende weitere Informationen, z.B. durch Onlinerecherchen, einholen. Für eine schnelle Reaktion können daher auch Zusatzinformationen, wie z.B. Details zum gefährdeten Gebiet, Anweisungen zur Evakuierung oder die Position der nächsten Notunterkunft wichtig sein. Da über Cell Broadcast jedoch nur kurze Textnachrichten verschickt werden können, fehlen unter Umständen genau diese Informationen. Weiterhin fehlt im Vergleich zu Warn-Apps auch die Möglichkeit, Bilder oder interaktive Kartenansichten zu nutzen. Außerdem werden durch Cell Broadcast nur die Personen erreicht, die sich auch in der Nähe des relevanten Gebiets aufhalten. Warnungen zu anderen Orten, wie beispielsweise dem Wohnort der Eltern oder dem Arbeitsplatz, kann man über Cell Broadcast nicht erhalten. Insbesondere Personen, die in Grenzregionen leben, können zudem nur die Informationen aus dem Land erhalten, bei deren Funkmast das eigene Gerät aktuell angemeldet ist.
Anders als in Warn-Apps haben Nutzende bei Cell Broadcast nicht die Möglichkeit, Warnungen anhand von persönlich relevanten Inhalten zu personalisieren. Während für Eltern Informationen über Schulausfälle wichtig sind, sind diese für Kinderlose zumeist uninteressant. Auch Warnungen über Cyberbedrohungen, das Auftreten von Betrugsversuchen in der Gegend oder polizeiliche Informationen können in Warn-Apps wie hessenWARN (innen.hessen.de) je nach Interesse abonniert werden.
Vom Smartphone ins Smart Home?
Während bei Cell Broadcast oder der Corona-Warn-App alleine durch die technischen Anforderungen bereits das Smartphone als Plattform feststeht, gibt es bei der ergänzenden Bevölkerungswarnung ungenutztes Potenzial in Smart Homes. Jede Industrieanlage weist mit blinkender Rundumbeleuchtung und Warntönen auf eine Gefahr hin, aber Speaker in Smart Homes bleiben stumm und smarte Glühbirnen verharren in ihrem allgemeinen Zustand. Dabei könnte gerade die Einbindung des Wohnraums eine Aufmerksamkeit für akute Gefahren schaffen und auch Personen erreichen, die kein Smartphone besitzen oder es nicht immer in der Nähe haben. Wichtig wären hierzu allerdings einheitliche Standards dazu, wie Warnungen auf Consumer Hardware präsentiert werden (peasec.de), aber auch Schnittstellen der Smart-Home Anbieter für die Anbindung von z.B. Smart Speakern an behördliche Warnungen. Auch hier ist die Corona-Warn-App mit der Anpassung mobiler Betriebssysteme für Contact-Tracing Vorbild (heise.de).
Ausblick.
Obgleich die Einführung von Cell Broadcast die Bevölkerungswarnung verbessert, sind noch lange nicht alle Probleme gelöst: Herausforderungen bestehen im Hinblick auf Internet- oder Mobilfunkausfälle, den Umgang mit älteren Handys oder Personen ohne Smartphone, sowie eine Erweiterung der Funktionen von Warn-Apps, sodass diese einen größeren Beitrag zur Krisenvorbereitung leisten. Die weit verbreitete finnische Warn-App, die Warnungen und Erste-Hilfe-Funktionen vereint und zum Beispiel auch Karten mit Defibrillatoren beinhaltet, kann hier als Beispiel dienen (css.ethz.ch). Auch erweiterte Funktionen zur bi-direktionalen Kommunikation, und zur nachbarschaftlichen Koordination im Falle von Krisen (peasec.de) könnten den Nutzen von Warn-Apps erhöhen. Lösungspotenzial bieten personalisierbare, informationsreichere Warn-Apps oder die Einbindung von Smart Home-Geräten in die Bevölkerungswarnung sowie weitere Forschung in der Krisenkommunikation. Gleichzeitig zeigen die Flutkatastrophe und der Krieg in der Ukraine, dass auch obsolet geglaubte Sirenen weiterhin nützlich sein können. Schlussendlich wird kein Warnkanal für sich ausreichen, sondern ein Zusammenspiel aus mehreren Systemen erforderlich sein, um die Bevölkerung optimal zu warnen.
Wir danken Steffen Haesler, Jasmin Haunschild, Markus Henkel und Christian Reuter vom Lehrstuhl Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC) der Technischen Universität Darmstadt sowie der GI-Fachgruppe „Usable Safety & Security” (https://fg-usesafesec.gi.de/). Haben auch Sie ein Thema im Fokus, das Sie interessiert? Wir freuen uns auf Ihre Ideen!
Diese Forschung wird innerhalb von emergenCITY sowie ATHENE-SecUrban gefördert.