Seit Oktober ist Dr. Marc-André Kaufhold Vertretungsprofessor für Knowledge Engineering am Fachbereich Informatik. Nach Abschluss seines Masterstudiums der Wirtschaftsinformatik an der Universität Siegen im Jahr 2016 begann er seine akademische Laufbahn dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Computerunterstützte Gruppenarbeit und Social Media. Im Anschluss war er bis 2017 Doktorand an der Graduiertenschule für nachhaltiges und verantwortungsvolles Wirtschaften der Universität Siegen. Seine Promotion schloss er 2020 am Fachgebiet Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC) mit „summa cum laude“ ab. Darin erforschte er Nutzererwartungen und Gestaltungsprinzipien für sozialen Medien und mobilen Anwendungen in Krisensituationen. Seit Juli 2020 ist er als Postdoktorand bei PEASEC tätig und hat im Mai 2023 seine Habilitation im Fachbereich Informatik begonnen. Zu seinem Einstieg, hat er uns einige Fragen beantwortet.
Woran forschen Sie?
Meine interdisziplinäre Forschung fokussiert die nutzerzentrierte Konzeption und Evaluation von KI-Algorithmen, mobilen Anwendungen und öffentlichen Medien im Kontext der Krisen- und Sicherheitsforschung. In den Anwendungsgebieten der Cyberkriminalität, Cybersicherheit und Kriseninformatik untersuche ich, wie Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben bei der Identifikation relevanter Informationen zur Verbesserung ihres Lagebilds unterstützt, die Erkennung von Cybermobbing, Fehlinformationen und Hassbotschaften verbessert und Bürger*innen in der Prävention von und Reaktion auf Schadenslagen im realen und virtuellen Raum gestärkt werden können. Meine Forschungsergebnisse fließen vor allem in Konferenzen und Journals der Computer Supported Collaborative Work (CSCW), Human-Computer Interaction (HCI) und Information Systems (IS) ein.
Warum sollten Studierende sich für Ihre Themen interessieren? / Was ist das Spannende an Ihren Themen?
Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und der zunehmenden Verbreitung sozialer Medien wurde deutlich, dass diese von Bürger*innen nicht nur zum Austausch im Alltag, sondern auch aktiv in Krisensituationen genutzt werden, um die Schadensbewältigung durch professionelle Einsatzkräfte zu unterstützen. Während soziale Medien die Übermittlung aktueller Lageinformationen (Fotos, Videos, Text), die emotionale und finanzielle Unterstützung Betroffener sowie die Mobilisierung von Helfer*innen über lokale Grenzen hinaus ermöglichen, geht die Nutzung mit Herausforderungen einher.
Die schiere Menge an Daten, die in Großschadenslagen in öffentlichen Medien veröffentlicht werden, in Kombination mit bewussten Fehlinformationen und veralteten Informationsständen erschwert es Einsatzkräften, relevante Informationen zu identifizieren, in ihr Lagebild zu integrieren und an Bürger*innen zu kommunizieren. Derartige Problemstellungen sind nicht nur in der Kriseninformatik relevant, sondern lassen sich in abgewandelter Form auch in den Bereichen der Cyberkriminalität (z.B. Erkennung und Meldung von Cybermobbing und Hassbotschaften) und Cybersicherheit (z.B. Identifikation relevanter Schwachstelleninformationen für das eigene Unternehmen) erforschen.
Im Rahmen der zivilen Sicherheitsforschung untersuche ich daher das Design gebrauchstauglicher Lösungen unter Einbezug von KI-Algorithmen, um das Situationsbewusstsein und die Entscheidungsfindung von Einsatzkräften und Bürger*innen in Schadenslagen zu unterstützen. Besonders spannend ist hierbei, dass der potenzielle gesellschaftliche Mehrwert intuitiv begreifbar ist und praxisnahe Forschung möglich ist, indem Anwender*innen über empirische Vorstudien und Evaluationssitzungen in das iterative Design von Technologien einbezogen werden können.
An der TU Darmstadt wird Interdisziplinarität großgeschrieben. Wo gibt es in Ihrem Arbeitsfeld Schnittstellen zu anderen Fachgebieten?
Ohne Interdisziplinarität wäre meine Forschung am Fachbereich Informatik nicht denkbar. Die Durchführung qualitativer Interviews und quantitativer Befragungen erfordert Expertise der Geistes- und Sozialwissenschaften, um relevante soziale und organisationale Praktiken der Anwendungsdomäne adäquat zu erfassen und als Anforderungen in das Design von Technologien einfließen zu lassen. In die Gestaltung und Evaluation dieser Technologien fließen dann methodische Ansätze der Human-Computer Interaction und Wirtschaftsinformatik ein, die inhärent bereits sehr interdisziplinär etwa aus Gesellschafts-, Informations- und Wirtschaftswissenschaften geprägt sind.
In welchen Fachbereich der TU oder welches Fachgebiet würden Sie gerne mal einen Tag schnuppern? Warum?
Während ich in der Kriseninformatik notwendigerweise mit den Folgen und der Anpassung an den Klimawandel (Climate Change Adaptation) konfrontiert bin, interessieren mich ebenso Maßnahmen zur langfristigen Abmilderung des Klimawandels (Climate Change Mitigation), in dem es spannende Projekte etwa im Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften gibt, die meinen Forschungshorizont erweitern könnten. Abseits meiner Forschung und um Interessen aus meiner Studienzeit zu reaktivieren, würde mir ein Tag am Fachbereich Physik, insbesondere in der Astrophysik und gerne mit Besuch des TURM Observatories, sicherlich ebenso Freude bereiten.
Wenn ich heute Student/in wäre, würde ich …
… auf einen ganz anderen Erfahrungsschatz und neue Perspektiven zurückgreifen können, die mir als Arbeiterkind zunächst nicht zur Verfügung standen. Definitiv würde ich ein Studium an einer weiter vom Geburtsort entfernten Universität in Betracht ziehen und Wert auf ein Auslandssemester z.B. im Masterstudiengang legen, um über längere Zeiträume in andere, lokale Arbeits-, Forschungs- und Lebenskulturen einzutauchen. Rückblickend bin ich mit der Wahl des Studiums der Wirtschaftsinformatik zufrieden, da diese durch ihren interdisziplinären Charakter eine Vielzahl von Explorations- und Vertiefungsoptionen ermöglicht hat, um in dem Prozess meine Präferenzen kennenzulernen und mich letztlich als studentische Hilfskraft an einem passenden Lehrstuhl zu bewerben, worüber ich meinen Zugang zur Promotion in der Kriseninformatik gefunden habe.
Der beste Ausgleich zu einem stressigen Arbeitstag ist …
… tagesindividuell, z.B. ein aktiver oder entspannender Ausflug in die Natur, die Erweiterung des kulinarischen Horizonts, ein interaktives oder immersives Medienerlebnis, Zeit mit den Besten verbringen.
Die Fragen stellte Anne Grauenhorst.
Source: TU Darmstadt – Fachbereich Informatik