Special Issue zu Mensch-Computer-Interaction und sozialen Medien in Sicherheitslagen erschienen
Vor welche Herausforderungen stellen uns die Mensch-Computer-Interaktion und die Nutzung sozialer Medien in sicherheitskritischen Systemen jetzt und in der Zukunft? Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung wurde von Prof. Dr. Christian Reuter (TU Darmstadt) und Prof. Dr. Tilo Mentler (Universität zu Lübeck) ein 198 Seiten umfassendes Special Issue im „Journal of Contingencies and Crisis Management“ herausgegeben.
Sicherheitskritische Systeme sind Systeme von hoher Sicherheitsrelevanz, deren Ausfall große Konsequenzen hat. Frühere Forschungsbeiträge arbeiteten bereits heraus, dass die Zahl der Systemausfälle aufgrund von Designfehlern unterschätzt wird. Es gilt, den Fokus von Forschung auf den Einsatz menschlicher Faktoren zu legen, um Fehler während des gesamten Design-Lebenszyklusses zu reduzieren. Im Falle von Totalausfällen von Infrastruktur ist es nötig, sowohl technische Lösungswege vorzuhalten, als auch Tools für ein geeignetes Krisenmanagement.
Vier Beiträge von Forschern aus verschiedenen Kontinenten nähern sich dem Thema „Human-Computer-Interaction and Social Media in Safety-Critical Systems“ mit einem jeweils ganz eigenen Forschungsansatz.
Der erste Artikel „Sense-Making in Social Media during Extreme Events” von Stefan Stieglitz, Deborah Bunker, Milad Mirbabaie und Christian Ehnis (Universität Duisburg-Essen und Universität Sydney) fragt inwieweit Social Media in Krisensituationen zur Kommunikation, Selbstorganisation, dem Krisenmanagement sowie zur Minimierung von Risiken genutzt werden kann. Zum besseren Verständnis von intersubjektiver Sinnstiftung wird kommentarbasierte Kommunikation in den sozialen Netzwerken in Bezug auf konkrete Ereignisse wie etwa dem Germanwings Flugzeugabsturz in 2015 beispielhaft herangezogen. Inwieweit haben in Krisensituationen bestimmte aktive Benutzergruppen z. B. über Tweets via Twitter Einfluss auf die intersubjektive Wahrnehmung?
Der zweite Artikel “Disaster Response Aided by Tweet Classification with a Domain Adaptation Approach” by Hongmin Li, Doina Caragea, Nic Herndon und Cornelia Caragea (Kansas State University und University of North Texas) beschäftigt sich mit der Klassifikation und Extraktion brauchbarer Informationen von sozialen Plattformen wie Twitter. Die Autoren schlagen dabei einen sog. „Domain Adaption Approach“ vor, um relevante Informationen zu klassifizieren.
Der dritte Artikel „Informing Crisis Alerts using Social Media: Best Practices and Proof of Concept” von Joel Brynielsson, Magdalena Granåsen, Charlotte Hellgren, Sinna Lindquist, Susanna Nilsson, Jiri Trnka und Maribel Narganes Quijano (FOI Swedish Defence Research Agency und Tecnalia Research and Innovation) befasst sich der Wirkung von Kriseninformationen, die über die sozialen Medien verbreitet wurden. Von teils interviewgestützten Forschungsergebnissen werden anhand der drei T-Faktoren Timing, Timeliness of Response und Trust Vorschläge zur Gestaltung von technologischen Instrumenten und zur Gestaltung eines Sentiment-Analyse-Screening-Tools für die Krisenalarmierung abgeleitet.
Der vierte Artikel schließlich „15 Jahre soziale Medien in Notsituationen: Eine retrospektive Studie und zukünftige Wege“ von Christian Reuter und Marc-André Kaufhold (TU Darmstadt) greift die Etablierung sozialer Medien in vielen größeren Notfällen und Krisen seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York auf. Er lenkt den Blick auf bestimmte Nutzungs-, Rollen- und Wahrnehmungsmuster, die während 15 Jahren Social Media in Notfallsituationen von der Forschung identifiziert werden konnten.
Das Thema Mensch-Computer-Interaktion und Nutzung sozialer Medien in sicherheitskritischen Systemen ist eines der spannenden Zukunftsthemen. Dem Krisenmanagement auch über die sozialen Medien kommt angesichts von derzeit 2,28 Milliarden Nutzern eine hohe Priorität zu. Die Herausgeber möchten mit der Veröffentlichung dieser Beiträge dazu beitragen, den Blick für die Bedeutsamkeit dieses Forschungsbereiches in Gegenwart und Zukunft zu schärfen.
Das Special Issue ist hier erhältlich: https://onlinelibrary.wiley.com/toc/14685973/26/1