Russlands Machthaber führen Krieg gegen die Ukraine. Der militärische Überfall lässt die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung wanken. Welche geopolitischen Konsequenzen sind zu erwarten, welche Effekte werden ökonomische Sanktionen haben, welche Eskalationsgefahren gehen von Cyberangriffen und anderen Formen hybrider Kriegsführung aus? Experten aus der Politikwissenschaft, Informatik und Wirtschaftswissenschaften der TU Darmstadt geben Einschätzungen.

Quelle: https://www.tu-darmstadt.de/universitaet/aktuelles_meldungen/einzelansicht_356161.de.jsp

Das Deutsche Polen-Institut, das im Darmstädter Schloss seine Räume hat, zeigt als Zeichen der Solidarität am 24. Februar 2022 eine Fahne der Ukraine. (Foto: P. Bal, TU Darmstadt)

Prof. Dr. Tanja Brühl, Präsidentin der Technischen Universität Darmstadt

Entsetzt nehmen wir die militärische Aggression durch Russland zur Kenntnis. Als TU Darmstadt verurteilen wir den völkerrechtswidrigen Akt aufs Schärfste, der der ukrainischen Zivilbevölkerung Leid und Tod bringt. Ihr gilt unsere ganze Solidarität.

Professor Markus Lederer (Arbeitsgebiet Internationale Beziehungen)

Präsident Putin rechtfertigt die Invasion in der Ukraine mit außenpolitischen Motiven wie dem vermeintlichen Genozid im Donbass oder den angeblich vom Westen nicht beachteten Sicherheitsinteressen Russlands. Die tiefere Ursache liegt jedoch im hochrepressiven Herrschaftssystem, in welchem Putin unkontrolliert die fossilen Energieressourcen des Landes für seine Machtabsicherung einsetzen kann. An diesem Punkt müssen die westlichen Sanktionen greifen, auch wenn dies für Europa teuer wird und keine schnellen Erfolge zu erwarten sind.

Professor Christian Reuter (Fachgebiet Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit)

Die Invasion Russlands hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, welche Rolle Cyberattacken und hybride Angriffe im Rahmen militärischer Operationen zukünftig zukommt. Leider deuten die aktuellen Entwicklungen darauf hin, dass der Einsatz dieser Mittel, nicht nur direkt als Begleitung offensiver klassischer Waffeneinsätze, sondern bereits im Vorfeld zunehmend normalisiert wird und dabei auch zivile und eigentlich völkerrechtlich geschützte IT-Systeme angegriffen werden. Malware als Cyberwaffen einzusetzen, wie aktuell geschehen, beinhaltet darüber hinaus auch die Gefahr unabsichtlicher Effekte. Angesichts der Vernetzung von IT-Systemen weltweit könnten Cyberangriffe in der Ukraine auch schnell europäische oder deutsche IT-Systeme gefährden. Mit Blick auf die Entwicklung in den nächsten Wochen und den Einfluss auf die europäische Friedensordnung, die dieser Angriff unzweifelhaft haben wird, stellt sich für uns als Wissenschaftler*innen umso dringender die Frage, was wir für eine friedliche Entwicklung des Cyberspace beitragen können. Sei es in Form von Krisenfrühwarnsystemen, Möglichkeiten zur Notfallkommunikation oder auch der Entwicklung von Rüstungskontrollmaßnahmen für den Cyberspace, um weitere Eskalations- und Aufrüstungsspiralen zu verhindern.

Professor Volker Nitsch (Arbeitsgebiet Internationale Wirtschaft)

Sanktionen sind das härteste Instrument der Diplomatie. Sie verursachen Kosten nicht nur beim Ziel, sondern auf beiden Seiten. Wer sanktioniert, macht damit deutlich, dass sie/er bereit ist, diese Kosten zu tragen. Dass die Androhung von Sanktionen Putin nicht von einem Angriff auf die Ukraine abgehalten hat, macht deutlich, dass auch er bereit ist, diese Kosten in Kauf zu nehmen. Die Sanktionen werden somit nicht kurzfristig, sondern, wenn überhaupt, allenfalls langfristig Wirkung entfalten.

Professor Jens Steffek (Arbeitsgebiet Transnationales Regieren)

Mit der von Präsident Putin angeordneten Invasion der Ukraine tritt der globale Systemkonflikt zwischen der liberalen Demokratie und der Autokratie scharf hervor. Sie beendet auch die europäische und insbesondere deutsche Illusion, man könne einen aggressiven Despoten mit Diplomatie und gemeinsamen Projekten einhegen. Die westlichen Wirtschaftssanktionen hat Putin vermutlich längst eingepreist und wird versuchen, ihre Effekte mit chinesischer Unterstützung abzumildern. Die Allianz der Autokraten nimmt Gestalt an.

Der Krieg und seine Folgen – Experten der TU Darmstadt bewerten die dramatische Lage in Osteuropa