IANUS steht für naturwissenschaftlich-technische Friedens- und Konfliktforschung an der Technischen Universität Darmstadt; oftmals interdisziplinär unter Einbeziehung der Sozial- und Geisteswissenschaften. Der IANUS-Preis (1750€) würdigt herausragende Qualifikationsarbeiten aus allen Fachrichtungen der TU Darmstadt. Eingereicht werden konnten bis zum 31. Juli 2023 Qualifikationsarbeiten (insb. Studien/Projekt-, Bachelor-, Masterarbeiten, Publikationen oder Dissertationen), die seit August 2021 abgeschlossen wurden und sich mit IANUS relevanten Fragestellungen beschäftigen.

Zahlreiche sehr gute Einreichungen aus verschiedenen Fachbereichen und -gebieten der TU Darmstadt kamen in die Endauswahl für den IANUS-Preis 2023. Bei sämtlichen eingereichten Arbeiten wurde die Qualität der Arbeit sowie der Bezug zur IANUS-Ausschreibung von allen drei Mitgliedern der Auswahlkommission, Prof. em. Dr. Alfred Nordmann (Philosophie der Technowissenschaften), Prof. Dr. Markus Lederer (Internationale Politik) und Prof. Dr. Dr. Christian Reuter (Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit), bewertet. Bei Befangenheit wirkte das jeweilige Mitglied nicht mit. Nach Auswahl prinzipiell preiswürdiger Arbeiten wurde nach detaillierter Betrachtung von i.d.R. zwei Mitgliedern der Kommission eine Einschätzung vorgenommen.

Die Jury kam zu dem Entschluss dieses Jahr vier Arbeiten mit dem IANUS-Preis 2023 auszuzeichnen. Dr. Thea Riebe wurde der erste Preis verliehen. Julian Bäumler, M.A., Paul Jonas Kurz, B.Sc. und Dr. Alina Stöver teilten sich den zweiten Platz.

Prof. Dr. Dr. Christian Reuter (IANUS-Juri), Dr. Thea Riebe (Platz 1) Julian Bäumler, Paul Jonas Kurz, Dr. Alina Stöver (jeweils Platz 2) sowie Prof. Dr. Markus Lederer (IANUS-Juri)

Dr. Thea Riebe erhält den IANUS-Preis 2023 für Ihre Dissertation im Fachbereich Informatik mit dem Titel „Technology Assessment of Dual-Use ICTs – How to Assess Diffusion, Governance and Design”, betreut von Prof. Dr. Dr. Christian Reuter (Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC), Fachbereich Informatik), mit dem Korreferenten Prof. em. Dr. Alfred Nordmann (Philosophie der Technowissenschaften). Die Dissertation befasst sich mit der Bewertung der Dual-Use Risiken von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Durch ihre doppelte Verwendung, z.B. als Teil einer Waffe, oder in zivilen Anwendungsfeldern, müssen die entstehenden Risiken für die nationale, internationale und menschliche Sicherheit bewertet und Strategien für den Umgang mit ihnen entwickelt werden. Die Arbeit untersucht daher verschiedene Maßnahmen zur Bewertung und zum Umgang mit diesen Risiken, wie z.B. Verbreitungskontrolle, Regulierungs- und Designansätze. Dafür werden Fallstudien im Hinblick auf künstliche Intelligenz, Autonome Waffensysteme und Open Source Intelligence für die Anwendung in der Cybersicherheit betrachtet. Die Arbeit verfolgt einen interdisziplinären Ansatz und verbindet Konzepte aus den Critical Security Studies und der Mensch-Computer-Interaktion, um die die Verbreitung, Regulierung und Gestaltung von Dual-Use IKT zu systematisieren.

Julian Bäumler, M.A. erhält den IANUS-Preis 2023 für seine Masterarbeit im Studiengang Internationale Studien / Friedens- und Konfliktforschung mit dem Titel „(Inter-)Organizational Online Hate Speech Gathering, Analysis, and Response: A Qualitative Study with German Reporting Centers“, betreut von Dr. Thea Riebe und Prof. Dr. Dr. Christian Reuter (Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit, Fachbereich Informatik) mit dem Zweitgutachter Prof. Dr. Julian Junk (Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung). Die Arbeit untersucht anhand einer qualitativen Interviewstudie mit 15 Mitarbeiter:innen deutscher Meldestellen die Erfassung und Analyse von sowie die Reaktion auf Hate Speech in Onlinemedien. Als Intermediäre zwischen Betroffenen und Strafverfolgungsbehörden sowie Plattformen sind die Stellen auf eine funktionierende interorganisationale Zusammenarbeit mit heterogenen Akteuren und auf eine adäquate Technologieunterstützung angewiesen. Da sich das Meldestellenpersonal zudem mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert sieht, z.B. psychischen Belastungen oder repetitiven und manuellen Arbeitsschritten, leitet die Arbeit Design-, Forschungs- und Policy-Implikationen ab, z.B. die Bereitstellung externer psychologischer Unterstützungsangebote oder die Erforschung erklärbarer Multi-Label Klassifikationsansätze für Hate Speech in multilingualen Daten. Die Forschung zu diesem Thema wird in dem am 01.08.2023 angelaufenen BMBF-Projekt CYLENCE an der TU Darmstadt fortgesetzt.

Paul Jonas Kurz, B.Sc. erhält den IANUS-Preis 2023 für seine Bachelorarbeit im Studiengang Informatik mit dem Titel „On the Origin of Gender Bias in Face Recognition“, betreut von Prof. Dr. Arjan Kuijper und Dr.-Ing. Philipp Terhörst (Mathematisches und angewandtes Visual Computing, Fachbereich Informatik sowie Fraunhofer IGD, letzterer jetzt Universität Paderborn). In der genannten Arbeit beleuchtet Herr Kurz mit Hilfe eines neuartigen, eigens entwickelten Verfahrens die Ursachen ungerechter Behandlung von Frauen durch die systematische Dysfunktion von Gesichtserkennungstechnologie. Derartige Systeme spielen sowohl im Alltag als auch bei kritischen Entscheidungsprozessen, wie in der Forensik, vor Gericht oder bei Grenzkontrollen am Flughafen, eine immer wichtigere Rolle. Die von Herrn Kurz betriebene Forschung zielt darauf ab, die Gründe für das verursachende algorithmische Fehlverhalten sicht- und erklärbar zu machen. Mit den von ihm entwickelten Methoden kann er zeigen, dass der nachweisbare Gender-Gap nicht auf biologische Ursachen zurückzuführen ist, sondern auf gesellschaftliche Faktoren wie bspw. das Tragen bestimmter Frisuren, Make-up oder Accessoires. Damit widerlegt er die Grundannahmen hunderter durchgeführter Studien und liefert wertvolle Erkenntnisse, wie künftig gerechtere Gesichtserkennungssysteme entwickelt werden können.

Dr. Alina Stöver erhält den IANUS-Preis 2023 für Ihre Dissertation im Fachbereich Psychologie mit dem Titel „Untersuchung des Beitrags von Webseitenbetreibenden zur Entstehung und Behebung von Privatsphärerisiken“, betreut von Prof. Dr. Joachim Vogt (Arbeits- und Ingenieurpsychologie, Fachbereich Humanwissenschaften) mit der Korreferentin Prof. Dr. Karola Marky (Digitale Souveränität, Ruhr-Universität Bochum). Die Dissertation beleuchtet die Perspektive von Webseitenbetreibenden in Bezug auf die Entstehung und Bewältigung von Privatsphärerisiken und betrachtet den menschlichen Faktor im Kontext digitaler Privatsphäre. Die gewonnenen Erkenntnisse helfen die bislang wenig erforschte Gruppe der Webseitenbetreibenden besser zu verstehen. Dieses Verständnis bildet eine Grundlage für die Entwicklung zielgerichteter Maßnahmen zur Unterstützung von Webseitenbetreibenden, wodurch sowohl diese als auch die Nutzenden entlastet werden. Alina Stövers interdisziplinärer Forschungsansatz zeigt, wie technische und soziale Aspekte eng miteinander verknüpft sind und wie diese synergistisch genutzt werden können, um digitale Sicherheit und Privatsphäre zu fördern. Alina Stöver hat am DFG-Graduiertenkolleg „Privacy and Trust for Mobile Users“ promoviert.

Die Preisverleihung fand im Rahmen der 3. Interdisziplinären Konferenz für technische Friedensforschung „Science · Peace · Security ’23“ (20. – 22.9.2023 in Darmstadt) statt. Auch 2024 wird es einen IANUS-Preis geben. Nominierungen werden bis 31.7.2024 unter ianus-preis@peasec.de entgegengenommen.

Verleihung der IANUS-Preise 2023: vier Arbeiten zu Dual-Use in der Informatik, Hate Speech, Gender Bias in der Gesichtserkennung sowie Privatsphärerisiken ausgezeichnet