Siegen. Technik ist toll, kann aber auch Probleme bringen. Christian Reuter hat das vor ein paar Wochen im Auto erlebt. Da fuhr das Fenster auf der Fahrerseite plötzlich nicht mehr hoch. Es wurde kalt und windig. „Da hätte ich mir eine Kurbel gewünscht, so wie früher“, erinnert sich der Bereichsleiter Kriseninformationssysteme am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Siegen.
Eine große Krise war das noch nicht. In der Werkstatt schlug ein Mitarbeiter ein paar Mal gegen die Tür, dann funktionierte der elektrische Fensterheber wieder. Aber im Prinzip sind das Probleme, mit denen sich Christian Reuter auch beruflich befasst, als Sprecher der neu gegründeten Fachgruppe „Mensch-Maschine-Interaktion in sicherheitskritischen Systemen“ der Gesellschaft für Informatik.
Nicht mal eben neustarten
Und das Auto ist durchaus ein sicherheitskritisches System, auch schon bevor es autonom fährt. „Immer mehr ist elektronisch gesteuert“, sagt Reuter. Und da könne es eben nicht so laufen wie beim Rechner zu Hause, den man, wenn etwas nicht funktioniert, kurz mal ausschaltet und dann wieder ein. „Das Auto kann nicht alle Systeme herunterfahren und stehenbleiben. Das muss sicher weiterfahren. Das kann nicht vor dem Abbiegen erst ein Update ausführen.“ Und das gelte auch dann, wenn der Fahrer einen Fehler macht. Die Anforderungen seien die gleichen wie beispielsweise für Kraftwerke: „Ein stabiler Zustand muss aufrecht erhalten werden. Und es ist einzuplanen, dass unerwartete Dinge geschehen können.“
„Resilienz“ nennt man in den Ingenieurwissenschaften die Fähigkeit von Systemen, bei einem Teilausfall nicht vollständig zu versagen. „Design for error“ ist ein weiterer Fachausdruck für fehlertolerante Konstruktionen. Das ist nicht neu. Bei Flugzeugen ist klar, dass der Pilot auch nach Ausfall der Elektronik landen können muss. Das ist eine Anforderung, die sich an beide Seiten richtet: Der Pilot muss das noch gelernt haben. Und der Autofahrer sollte in der Lage sein, sich notfalls auch ohne Navi zurechtzufinden. Vielleicht könnte eine neue Geräte-Generation das trainieren?
„Wenn der Taschenrechner ausfällt, bekomme ich das mit Stift und Papier noch selbst hin“, sagt Reuter. „Aber wenn der Strom ausfällt, sind wir hilflos.“ In Ghana, wo das täglich passiert, sind die Menschen darauf eingestellt, hat er bei einem Aufenthalt dort festgestellt. Was kein Argument für Stromausfälle ist. Aber gegen Abhängigkeiten.Der Stromausfall ist dennoch ein gutes Stichwort. Das Umknicken von Strommasten im Münsterland im Winter 2005 bescherte den Siegener Informatikern einen ersten Forschungsauftrag: Wie lässt sich der Datenaustausch zwischen Energieversorger, Feuerwehr und Polizei verbessern? Damals kamen wichtige Informationen nicht durch, weil so viele besorgte Bürger anriefen. Künftig würde die Feuerwehr die RWE-Daten direkt angezeigt bekommen.
Stresszustände erkennen
Im EU-finanzierten Projekt EmerGent wurden die Auswirkungen sozialer Medien in Katastrophenlagen untersucht. Eine europaweite Umfrage bei Feuerwehr und THW ergab: Bislang geht es vor allem um Verhaltenstipps für die Bevölkerung. Für einen echten Dialog sind die Systeme noch nicht praktikabel genug. „Es geht um den Konflikt zwischen Zeiteinsatz und Zusatznutzen“, erklärt Reuter. Niemand wolle sich durch 3000 Nachrichten klicken. „Wenn wir es schaffen, einen Algorithmus zu entwickeln, der relevante Infos oder Fotos zum aktuellen Brand herausfiltert, könnte das anders aussehen.“
Anderes Beispiel für neue Techniken im Sicherheitseinsatz: Die Rettungshundestaffel der DRK bekommt per Google-Brille angezeigt, welche Bereiche abgesucht sind und wo sich die anderen Teilnehmer gerade befinden. „Momentan ist die Hardware dafür noch nicht robust genug“, sagt Christian Reuter, „aber wir probieren schon einmal, wie das künftig funktionieren kann.“Das sind die Katastrophen-Spezialisten in Siegen. Die Fachgruppe befasst sich mit Medizintechnik, chemischen Großanlagen oder Bahntechnik. Gemeinsam ist allen Ansätzen: Mensch und Maschine sollen als Team arbeiten, sich austauschen über aktuelle Zustände und künftige Schritte. Die Maschinen sollen Absichten und mögliche Stresszustände der Menschen erkennen, die Software muss, je mehr sie die Welt regiert, verlässlicher werden. Das Problem: Sicherheit und gute Benutzbarkeit stehen in einem Spannungsfeld. Ein Grundsatz gilt aber für Reuter weiter: „Die Technik soll den Menschen unterstützen, nicht umgekehrt.“
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