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Was ist Crisis Informatics?

Die Nutzung sozialer Medien hat sich nicht nur im Alltag, sondern auch in vielen verschiedenen Notfällen, Krisen und Katastrophen etabliert. Dieser Prozess begann bereits vor fast 20 Jahren nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. In den darauffolgenden Jahren, vor allem in den vergangenen zehn, wurden eine Vielzahl von Studien veröffentlicht, die sich auf den Gebrauch von Informations- und Kommunikationstechnologien und sozialen Medien vor, während oder nach Notfällen konzentrieren. Dieser Forschungsbereich wird auch unter dem Begriff Crisis Informatics zusammengefasst.

Soziale Medien sind nicht nur Teil unseres Alltags, sondern werden auch verstärkt in kritischen Situationen genutzt: Bereits nach den Terroranschlägen in New York im September 2001 entwarfen die Bürger eigene Wikis, um Informationen über vermisste Personen zu sammeln (Palen & Liu, 2007). Webbasierte Technologien wurden genutzt, um die Öffentlichkeit zu informieren und Statusberichte intern und extern zur Verfügung zu stellen (Harrald et al., 2002). Ab etwa 2006 ist der Einsatz sozialer Medien in Notfällen zu einem wachsenden Forschungsbereich geworden, der auch unter dem Begriff Crisis Informatics zusammengefasst wird. Zunächst geprägt von Hagar (2007) und später von Palen et al. (2009) weiterentwickelt, stellt Crisis Informatics die Gefahrenabwehr als ein erweitertes soziales System dar, um Informationen innerhalb und zwischen offiziellen und öffentlichen Kanälen und Einheiten zu verbreitet. Heute ist Crisis Informatics ein multidisziplinäres Feld, welches das Wissen über die Informatik und die Sozialwissenschaften von Katastrophen miteinander verbindet; ihr zentraler Grundsatz ist, dass die Menschen persönliche IKT einsetzen, um auf Krisen kreativ zu reagieren und mit Unsicherheit umgehen zu können (Palen & Anderson, 2016).

Nutzung verschiedener sozialer Medien

Der umfassende Einsatz sozialer Medien in Katastrophenlagen wurde in Deutschland erstmalig während des mitteleuropäischen Hochwassers im Frühjahr 2013 von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen (Kaufhold & Reuter, 2014; Reuter et al., 2015). Über Twitter, Facebook, Google Maps und weitere Plattformen koordinierten betroffene Bürger und freiwillige Helfer untereinander Hilfsaktivitäten und unterstützten den Katastrophenschutz. Zahlreiche Medien berichteten über dieses Phänomen (Abbildung 19‑1).

  • Unsere Studien legen nahe, dass Twitter vor allem zur Verbreitung von Informationen beziehungsweise als Plattform für Statusupdates genutzt wird. Tatsächliche Koordination fand hierüber nicht statt. Dennoch wird Twitter häufig in der Forschung thematisiert, was auch an der international größeren Bedeutung Twitters, jedoch vor allem an den öffentlich zugänglichen Daten liegt, die in Facebook häufig nur Freunden zugänglich gemacht werden.
  • Facebook-Seiten dienten der Schaffung eines Überblicks, basierend auf einer manuellen Filterung durch die Initiatoren. In Facebook-Gruppen erfolgte eine Vielzahl virtueller und realer Koordination von Hilfsaktivitäten. Da das Veröffentlichen von Meldungen für jeden möglich ist, kann es in diesen Gruppen schnell unübersichtlich werden. Daher haben einige besonders engagierte Benutzer die Rolle der Moderatoren übernommen und Hilfsbedarfe und Angebote vermittelt. So beispielsweise bei „Passau räumt auf“, eine von Studierenden organisierte und von den lokalen Katastrophenschutzbehörden unterstützte Gruppe.
  • Zudem wurden in Google Maps individuelle Kartendienste erstellt, auf denen überflutete und evakuierte Gebiete, Notunterkünfte, Sandsackfüllstationen, bedrohte Deiche, Bedarfe an Hilfskräften oder Transportmöglichkeiten eingetragen wurden. Diese wurden von kleinen Teams verwaltet und durch eine Vielzahl an Kommentaren aktuell gehalten.
  • Neben den bereits bekannten und bestehenden Möglichkeiten wurde auch speziell für Überflutungen entwickelte Software genutzt. Die Webseite fluddhilfe.de ermöglichte das Einstellen von Hilfegesuchen oder -angeboten. Diese wurden automatisch auch auf Twitter veröffentlicht.

Nutzungsmuster

Das Spektrum der verschiedenen Katastrophenlagen und Notsituationen sowie Reaktionen auf diese haben zu dem Versuch geführt, die Verwendung sozialer Medien zu kategorisieren. Ziel ist es, die systematische Analyse von Verhaltensweisen und Interaktionen zu fördern und die Nutzung und Entwicklung qualifizierter Technologien zu erleichtern.

Reuter et al. (2012) haben dies adressierend eine Klassifizierungsmatrix für die Kommunikation in Krisensituationen abgeleitet, die zwischen Sender (X-Achse) und Empfänger (Y-Achse) digitaler Inhalte unterscheidet. In einer Unterscheidung der Öffentlichkeit (engl. Citizens, kurz: C) und der Behörden (engl. Authorities, kurz: A), wie z. B. Feuerwehr und Polizei, unterscheidet die Krisenkommunikationsmatrix zwischen vier Informationsflüssen beziehungsweise Mustern der Nutzung sozialer Medien: Auf der interorganisationalen Ebene kommunizieren Organisationen miteinander (A2A). Auf öffentlicher Ebene kommunizieren Bürger und Freiwillige real oder virtuell über soziale Medien wie Twitter oder Facebook (C2C). Dieser bürgergenerierte Inhalt wird auch von Behörden (C2A) analysiert. Neben der Kommunikation unter den Bürgern versorgen Behörden die Öffentlichkeit mit krisenrelevanten Informationen (A2C).

Was nun?

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Quelle

Christian Reuter, Marc-André Kaufhold (2018) Soziale Medien in Notfällen, Krisen und Katastrophen, Sicherheitskritische Mensch-Computer-Interaktion: Interaktive Technologien und Soziale Medien im Krisen- und Sicherheitsmanagement, Christian Reuter (Hrsg.), S. 379-402, Wiesbaden: Springer Vieweg, url, doi:10.1007/978-3-658-19523-6_19

Christian Reuter, Marc-André Kaufhold (2018) Fifteen Years of Social Media in Emergencies: A Retrospective Review and Future Directions for Crisis Informatics, Journal of Contingencies and Crisis Management (JCCM) 26(1), S. 41–57, pdf, doi:10.1111/1468-5973.12196

Christian Reuter, Amanda Lee Hughes, Marc-André Kaufhold (2018) Social Media in Crisis Management: An Evaluation and Analysis of Crisis Informatics Research, International Journal on Human-Computer Interaction (IJHCI) 34(4), S. 280-294, pdf, doi:10.1080/10447318.2018.1427832

 

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