2019 veröffentlichte der Wissenschaftsrat, das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland, seine Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Friedens- und Konfliktforschung und zur dringenden Notwendigkeit, die naturwissenschaftlich-technische Friedens- und Konfliktforschung zu stärken. Auf Grundlage vorhandener Erkenntnisse aus unterschiedlichen Disziplinen (wie z.B. Physik, Biologie, Chemie und Informatik) befasst sich diese Forschung mit der Rolle der naturwissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten im Kontext von Krieg, Frieden, Auf- und Abrüstung.
Diese Empfehlung haben Prof. Dr. Christian Reuter (PEASEC, TU Darmstadt), PD Dr. Jürgen Altmann (TU Dortmund), Prof. Dr. Malte Göttsche (RWTH Aachen) und Dr. Mirko Himmel (Univ. Hamburg) zum Anlass genommen, um in S+F Sicherheit und Frieden / Security and Peace, der „führende[n] deutsche[n] Fachzeitschrift für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ ein Special Issue zu veröffentlichen.
Die resultierende Zusammenstellung verschiedener Artikel, die auf die Darmstädter Konferenz SCIENCE – PEACE – SECURITY ’19 aufbaut, bietet Einblicke in die aktuelle Forschung und enthält naturwissenschaftliche, technische und interdisziplinäre Beiträge aus verschiedenen Forschungsbereichen. Nach zwei Begutachtungsrunden wurden Beiträge aus Aachen, Berlin, Darmstadt, Dortmund, Duisburg-Essen, Frankfurt, Hamburg und Wien zur Veröffentlichung ausgewählt.
Interdisciplinary Contributions to Natural Science /Technical Peace Research
- Der einführende Beitrag „Natural Science and Technical Peace Research: Definition, History and Current Work“ der Gasteditoren beschreibt das Forschungsfeld, seine Geschichte und aktuelle Arbeit.
- Der Beitrag „A Developing Arms Race in Outer Space? De-constructing the Dynamics in the Field of Anti-Satellite Weapons“ wurde von Daniel Lambach & Arne Sönnichsen verfasst. Die Autoren erklären, dass bestehende Ängste vor der Militarisierung des Weltraums oft zu technik-deterministischen Argumenten führen. Dieser Beitrag verfolgt einen sozialkonstruktivistischen Ansatz von Technik, um die Dynamiken des angeblichen Wettrüstens zu dekonstruieren.
- Das Paper „Towards IT Peace Research: Challenges on the Intersection of Peace and Conflict Research and Computer Science“ von Christian Reuter verdeutlicht, dass Fortschritte in Wissenschaft und Technik, einschließlich der Informationstechnik, eine entscheidende Rolle für Frieden und Sicherheit spielen. Dieser Beitrag hebt die Notwendigkeit weiterer Arbeit in der „IT-Friedensforschung“ hervor.
- Der Beitrag „The state of cyber arms control. An International Vulnerabilities Equities Process as the way to go forward?“ von Matthias Schulz analysiert Vorschläge zu Cyber-Rüstungskontrolle, die sich an traditionellen Rüstungskontrollregimen orientieren. Obwohl die Bedrohung durch Cyber-Konflikte zunimmt, ist bisher mit Cyber-Rüstungskontrollregimen nicht viel erreicht worden. Der Autor stellt fest, dass Herausforderungen innerhalb der digitalen Domäne, Verifikationsprobleme sowie fehlender politischer Wille große Hemmnisse für die Übertragung auf die Cyberdomäne darstellen.
- Der Artikel „Cyber Threat Intelligence Sharing between States“ von Philipp Kühn, Thea Riebe, Lynn Apelt, Max Jansen & Christian Reuter untersucht Cyber Threat Intelligence-Plattformen, die im IT-Sicherheitsmanagement zur gemeinsamen Nutzung und Analyse von Cyber-Bedrohungen für ein kollektives Krisenmanagement eingesetzt werden. Im Beitrag wird darüber diskutiert, ob CTI-Plattformen zwischen Staaten und internationalen Organisationen als vertrauensbildende Maßnahmen eingesetzt werden können.
- Der Beitrag „Towards a Prospective Assessment of the Power and Impact of Novel Invasive Environmental Biotechnologies“ von Johannes L. Frieß, Anna Rössing, Gunnar Jeremias und Bernd Giese untersucht neue Biotechnologien, nämlich Gene Drives und Horizontal Environmental Genetic Alteration Agents, die über die klassischen Anwendungen von gentechnisch veränderten Organismen hinausgehen. Der Beitrag betrachtet vorläufig die Eignung des derzeitigen rechtlichen Rahmens im Hinblick auf Konflikte, die sich aus der feindseligen oder wohlwollenden Nutzung dieser Technologien ergeben.
- Das letzte Paper „New Military Technologies: Dangers for International Security and Peace“ von Jürgen Altmann behandelt neue militärische Technologien, die mit hohem Tempo entwickelt werden; die USA sind auf diesem Gebiet führend. Probleme für internationale Sicherheit und Frieden – Wettrüsten und Destabilisierung – werden sich wahrscheinlich aus den gemeinsamen Eigenschaften mehrerer Technologien ergeben: breitere Verfügbarkeit, leichterer Zugang, kleinere Systeme, kürzere Zeiten für Angriffe, Warnungen und Entscheidungen sowie konventionell-nukleare Verstrickung.
Zusammenfassend sind wir zuversichtlich, dass diese Themenschwerpunktausgabe einen Überblick über aktuelle Forschungsprojekte und Herausforderungen in der naturwissenschaftlich-technischen Friedensforschung enthält.
(2020) Special Issue: Interdisciplinary Contributions to Natural Science/Technical Peace Research, S+F Sicherheit und Frieden / Peace and Security 38(1), Nomos
Die Gastherausgeber bedanken sich bei den Herausgebern für die Möglichkeit dieses Special Issues und Dr. Patricia Schneider für die Betreuung.