In seiner Dissertation untersucht Marc-André Kaufhold Nutzungserwartungen und Designimplikationen für den Einsatz neuer Medien im Krisenmanagement. Er entwickelt ein neuartiges Framework zur Informationsverfeinerung (Information Refinement), welches die ereignisbezogenen, organisationalen, sozialen und technologischen Faktoren von Krisen berücksichtigt. Dazu begutachtet er den Forschungsstand der Kriseninformatik und analysiert Nutzungsmuster, Potenziale und Barrieren von sozialen Medien und mobilen Anwendungen in Krisenlagen. Auf Basis dieser Einsichten führt er Design- und Evaluationsstudien durch, um Implikationen für die Forschung und Praxis abzuleiten.

Marc-André Kaufhold (2021): Information Refinement Technologies for Crisis Informatics: User Expectations and Design Principles for Social Media and Mobile Apps. Springer Vieweg, 381 p. 52 illus., DOI: 10.1007/978-3-658-33341-6, ISBN: 978-3-658-33341-6 (eBook), 978-3-658-33343-0 (Softcover),  https://www.springer.com/de/book/9783658333430, https://link.springer.com/book/10.1007%2F978-3-658-33341-6

Motivation: In den letzten 20 Jahren haben sich mobile Technologien und soziale Medien nicht nur im Alltag, sondern auch in Krisensituationen etabliert. Insbesondere großflächige Ereignisse wie der Hurrikan Sandy (2012) oder das mitteleuropäische Hochwasser (2013) haben gezeigt, dass sich die Bevölkerung aktiv mit Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) an der Schadensbewältigung beteiligt. Daraus ist das Forschungsfeld der Kriseninformatik entstanden, welches Wissen der Informatik und Gesellschaftswissenschaften kombiniert und zudem in Disziplinen wie Mensch-Maschine-Interaktion, Computerunterstützte Gruppenarbeit und Wirtschaftsinformatik verankert ist. Während die Bevölkerung IKT einsetzt, um die Unsicherheiten in Krisen zu bewältigen, nutzen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), etwa Feuerwehr und Polizei, öffentliche Daten, um das Situationsbewusstsein und die Entscheidungsfindung für eine bessere Schadensbewältigung zu verbessern.

Herausforderungen: Noch größere Katastrophen wie die aktuelle COVID-19-Pandemie verstärken dabei die Herausforderungen der Kriseninformatik. Für BOS stellt die umfangreiche Menge heterogener und semantisch verknüpfter Daten, auch Social Big Data genannt, eine große Herausforderung im Hinblick auf die Qualität, Quantität und den Zugriff auf relevante Informationen dar. Um ein Situationsbewusstsein und nutzbare Informationen, d.h. die richtigen Informationen zur richtigen Zeit bei der richtigen Person, zu erhalten, müssen Informationen auf die Bedingungen des Ereignisses, organisationale Anforderungen, soziale Rahmenbedingungen und technische Möglichkeiten verfeinert werden. Diese Dissertation kombiniert das methodische Framework der Designfallstudien mit den Prinzipien der Design-Science-Forschung, um das Thema der Informationsverfeinerung in vier Phasen zu untersuchen, wovon jede unterschiedliche Forschungsbeiträge hervorbringt.

Inhalt: Die Arbeit begutachtet zunächst Nutzungs-, Rollen- und Wahrnehmungsmuster in der Kriseninformatik und stellt die Potenziale sozialer Medien zur öffentlichen Teilhabe an der Krisenbewältigung heraus. Die empirische Studien mit der deutschen Bevölkerung zeigen die positiven Einstellungen und die steigende Nutzung mobiler und sozialer Technologien in Krisen, stellen aber auch Barrieren heraus und zeigen die Erwartung, dass BOS in soziale Medien aktiv sind. Die Ergebnisse fundieren das Design innovativer IKT-Artefakte, darunter visuelle Bevölkerungsrichtlinien für soziale Medien in Krisen, ein Web-Interface für BOS zur Aggregation mobiler und sozialer Daten, ein Algorithmus zur Extraktion relevanter Informationen in sozialen Medien, und eine mobile App für die bidirektionale Kommunikation zwischen BOS und Bevölkerung. Die Evaluation der Artefakte involviert Endnutzer*innen aus dem Anwendungsfeld des Krisenmanagements, um potenziale für Verbesserungen und zukünftige Forschung zu identifizieren. Die Arbeit schließt mit einem Framework zur Informationsverarbeitung für die Kriseninformatik ab, welche die event-, gesellschafts-, organisation- und technologiebasierte Perspektive integriert.

Über den AutorMarc-André Kaufhold ist Post-Doktorand am Lehrstuhl Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC) im Fachbereich Informatik der Technischen Universität Darmstadt. Er ist Projektmanager in CYWARN (2020-2023, BMBF), Mitarbeiter in der ATHENE-Mission SecUrban (2020-2023, BMBF+HMWK) und assoziiertes Mitglied im LOEWE-Zentrum emergenCITY (2020-2023, HMWK). Seine Forschung fokussiert insbesondere die nutzerzentrierte Konzeption und Evaluation mobiler Anwendungen und sozialer Medien im Kontext der Krisen- und Sicherheitsforschung und umfasst über 60 wissenschaftliche Beiträge in den Bereichen Computerunterstützte Gruppenarbeit, Kriseninformatik, Mensch-Maschine-Interaktion und Wirtschaftsinformatik.

Unterstützt wurde die Arbeit in den Forschungsprojekten EmerGent (2014-2017, BMBF) und KontiKat (2017-2021, BMBF), dem Sonderforschungsbereich SFB 1053 MAKI (2013-2021, DFG) und dem Nationalen Forschungszentrum ATHENE (2019-2026, BMBF/HMWK).

Information Refinement Technologies for Crisis Informatics – Dissertation von Marc-André Kaufhold veröffentlicht