Soziale Medien sind ein wichtiges Werkzeug für Aktivist:innen – aber auch ein Risiko. Hassrede, Überwachung und Desinformation nehmen zu. Wie können Betroffene sich schützen? Dieser Artikel zeigt Herausforderungen und Lösungen.

Erschienen in der 373. Ausgabe des GI-Radar am 21.02.2025: https://gi-radar.de/373-digitale-gewalt/

Digitale Gewalt gegen Aktivist:innen: Risiken und mögliche Handlungsmöglichkeiten

Seit den frühen 2010er Jahren, insbesondere während der Proteste in Ägypten und Tunesien, wurde die Rolle von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) für aktivistische Tätigkeiten immer wichtiger. Dies zeigt sich beispielsweise an der Nutzung sozialer Medien durch Aktivist:innen in Myanmar, die nach dem Militärputsch 2021 internationale Aufmerksamkeit erlangen wollten. IKTs bieten zahlreiche Vorteile wie Kosteneinsparungen, Zugang zu alternativen Informationsquellen und die Demokratisierung politischer Beteiligung. Jedoch sind Aktivist:innen mit vielfältigen Herausforderungen und unterschiedlichen Formen von digitaler Gewalt konfrontiert, darunter Internetabschaltungen, Hassrede und Zensurmaßnahmen. Auch ist ein Anstieg digitaler Überwachung, Propaganda und der Manipulation von Informationen zu verzeichnen. Die zunehmende Verbreitung digitaler Gewalt stellt für Aktivist:innen und soziale Bewegungen ein signifikantes Problem dar, was dazu führt, dass sich immer mehr Aktivist:innen selbst zensieren und sich aus den Online-Räumen zurückziehen. 

Zunahme digitaler Gewalt gegen Aktivist:innen

Digitale Gewalt bezeichnet Handlungen, die im digitalen Raum stattfinden und durch Technik entweder unterstützt oder überhaupt erst ermöglicht werden. Als Beispiele für derartige Handlungen können Hassreden, die Verbreitung falscher Informationen,Zensur oder auch das Veröffentlichen privater Daten von Personen (Doxing) genannt werden. Auch relativ neue Phänomene wie Deepfakes, die durch KI ermöglicht werden, fallen in diese Kategorie. Es kristallisiert sich zunehmend heraus, dass die Grenzen zwischen digitaler Gewalt und physischer, direkter Gewalt zunehmend verschwimmen. Dies zeigt sich darin, dass digitale Gewalt häufig ein Vorläufer vor direkter, physischer Gewalt darstellt. Empirische Untersuchungen zeigen, dass solche Übergriffe nicht nur prominente Aktivist:innen betreffen, sondern auch Menschen, die vermeintlich „kontroverse“ Themen wie Umwelt- oder Frauenrechte ansprechen, insbesondere in Ländern, in denen solche Themen stark umstritten sind. Fallstudien aus Ländern wie Myanmar, Kamerun und Kolumbien zeigen, dass digitale Gewalt weit verbreitet ist und vor allem oft Indigene, schwarze und weibliche Aktivist:innen betrifft. Die Folgen digitaler Gewalt reichen von psychischen Belastungen bis hin zu einem Rückzug aus sozialen Netzwerken (chilling effect), was häufig das Ziel der Täter:innen ist. Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen ist, ist die Tatsache, dass viele der betroffenen Aktivist:innen nicht über die Identität der Täter:innen informiert sind. Zudem fehlt es in vielen Ländern an einem rechtlichen Rahmen, der solche Taten verfolgt. Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass digitale Gewalt nicht als ein isoliertes Phänomen betrachtet werden sollte, sondern als ein Teil eines größeren, komplexen Zusammenhangs. 
Aktivist:innen setzen verschiedene Strategien ein, um sich vor digitaler Gewalt zu schützen. Bei direkten Bedrohungen und Hassrede werden Nachrichten häufig gelöscht, ignoriert oder blockiert. In Fällen von Internetabschaltungen wird auf VPN oder vereinzelt auf alternative Applikationen wie Briar zurückgegriffen, welches eine sichere Kommunikation über Bluetooth ermöglicht. Im Gegensatz zu vielen Empfehlungen von IT-Sicherheitsexpert:innen nutzen nur wenige der befragten Aktivist:innen Sicherheitsmaßnahmen wie Verschlüsselung, Tor, oder Passwort-Manager. Diese Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Praktiken der Aktivist:innen und den empfohlenen Sicherheitsmaßnahmen sollte in zukünftigen Untersuchungen verstärkt berücksichtigt werden. Zu diesem Zweck sollte untersucht werden, ob Aktivist:innen die verfügbaren Tools und Funktionen kennen, aber aus bestimmten Gründen nicht nutzen, und welche Faktoren diese Entscheidung beeinflussen. Die gewonnenen Erkenntnisse können (IT) Expert:innen dabei unterstützen, ihre Empfehlungen zu optimieren, sodass diese praktischer und zugänglicher für Aktivist:innen werden. Empfehlungen zu Sicherheitsmaßnahmen sollten demnach auf realistischen, umsetzbaren und effektiven Prinzipien basieren. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, dass Aktivist:innen die Vor- und Nachteile bestimmter Apps und Funktionen verstehen, um fundierte Entscheidungen zu treffen und deren Stärken und Schwächen selbst einschätzen zu können. Hierfür benötigen sie ein tieferes technisches Verständnis sowie klar verständliche, kontextuell angepasste Schulungsmaterialien.

Handlungsempfehlungen: Schutz und Unterstützung von Aktivist:innen1. Technische Unterstützung und digitale Sicherheit

Um Aktivist:innen effektiver vor digitaler Gewalt zu schützen, ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der technische, rechtliche und bildungsbezogene Maßnahmen integriert. Eine engere Zusammenarbeit zwischen politischen Institutionen, IT Expert:innen und Aktivist:innen selbst ist erforderlich, um nachhaltige Lösungen zu finden und den digitalen Raum als sicheren Ort für soziale Bewegungen zu erhalten.

1. Technische Unterstützung und digitale Sicherheit

Angesichts der zunehmenden digitalen Gewalt ist die Entwicklung spezifischer Technologien zur Unterstützung von Aktivist:innen, beispielsweise im Falle von Internet-Shutdowns, unabdingbar. Die Implementierung solcher Ansätze sollte daher forciert und auf lokale Gegebenheiten abgestimmt werden. Unterstützungsangebote könnten auch digitale Sicherheitstrainings umfassen. Um die Bedürfnisse der Zielgruppe adäquat identifizieren zu können, sollten qualitative Erhebungen durchgeführt werden, die dynamische und variierende Kontexte erfassen, verstehen und in die Technikentwicklung einbinden. Lösungsansätze sollten daher in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen entwickelt werden, um ihre individuellen Bedürfnisse und lokalen Kontexte zu berücksichtigen. Die Förderung einer nutzerzentrierten Entwicklung digitaler Technologien ist dabei von entscheidender Bedeutung.

2. Resilienz stärken

Die Stärkung der digitalen Kompetenz und Resilienz von Aktivist:innen durch Schulungen und den Aufbau sicherer Netzwerke ist von essenzieller Bedeutung. Darüber hinaus könnten Maßnahmen zur Unterstützung der psychischen Gesundheit und der Bewältigung emotionaler Belastungen von Vorteil sein.

3. Rechtliche Rahmenbedingungen verbessern

Rechtliche Rahmenbedingungen verbessern: Die Implementierung umfassender gesetzlicher Regelungen zur Kriminalisierung digitaler Gewalt sowie zur Verfolgung der Täter:innen erweist sich als unabdingbar. Auch Deutschland sollte sich international stärker für die Durchsetzung solcher rechtlichen Rahmenwerke einsetzen und digitale Gewalt als nicht zu vernachlässigten Bestandteil von Gewalt verstehen. Die Auseinandersetzung mit digitaler Gewalt gegen Aktivist:innen ist von entscheidender Bedeutung, da diese nicht nur ihre individuelle Sicherheit gefährdet, sondern auch die aktive Teilnahme an der Gesellschaft und demokratischen Prozessen einschränkt. Die Informatik-Community kann hierbei eine Schlüsselrolle spielen, indem sie sichere digitale Räume schafft, effektive Schutzmaßnahmen entwickelt und zugängliche Bildungsressourcen bereitstellt, um Aktivist:innen zu unterstützen und ihre digitale Teilnahme zu ermöglichen. Teile dieses Artikels sind in ähnlicher Fassung als TraCe Policy Brief und als Comic erschienen. Der Comic stellt Möglichkeiten vor, wie sich Aktivist:innen in Zeiten von Protest und Unterdrückung online schützen können. Beigesteuert wurde der Beitrag von Laura Gianna Guntrum und Prof. Dr. Dr. Christian Reuter. Beide forschen an der Technischen Universität Darmstadt am Bereich Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC) im Rahmen von TraCe (Forschungszentrum „Transformations of Political Violence“).

Dieser Artikel ist in ähnlicher Fassung bei Table-Briefings erschienen. Beigesteuert wurde er von Dr.-Ing. Katrin Hartwig und Prof. Dr. Dr. Christian Reuter. Beide forschen an der Technischen Universität Darmstadt am Bereich Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC).

 

Digitale Gewalt gegen Aktivist:innen: Risiken und mögliche Handlungsmöglichkeiten