Atomwaffen sind Massenvernichtungswaffen und Mittel zur Umsetzung des nuklearen Kolonialismus und können nur zur Begehung eines Kriegsverbrechens eingesetzt werden. Damit das Risiko eines versehentlichen oder absichtlichen Einsatzes gleich Null ist, müssen Atomwaffen abgeschafft werden. Dementsprechend muss von Regierungen gefordert werden, dass diese dem Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) beitreten – nicht nur mit Beobachterstatus. Diese Erkenntnisse sollten überall anerkannt sein, sind sie aber leider nicht. Wieso?

von Clarissa Neder (Studierende Friedens- und Konfliktforschung und HiWi bei PEASEC)

Gruppenfoto mit der Außenministerin Annalena Baerbock (mittig, blau) und PEASEC-HiWi Clarissa Neder (mittig, rot) / Copyright: Photothek.de/Schmitz

Der Nichtweiterverbreitungsvertrag (NVV) trat 1970 in Kraft. Die Mitgliedstaaten treffen sich alle fünf Jahre zur Überprüfungskonferenz, um im Rahmen der drei Vertragssäulen (1) Verbot der Weiterverbreitung, (2) Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie und (3) nukleare Abrüstung, die Einhaltung des Vertrags zu gewährleisten. Vom 01.08.2022 bis zum 26.08.2022 wird die Überprüfungskonferenz nachgeholt, welche eigentlich im April 2020 hätte stattfinden sollen aber aufgrund der Pandemie verschoben wurde. In der ersten Woche dieser Konferenz durfte ich als Mitglied der Jugenddelegation der deutschen Friedensgesellschaft teilnehmen und darf hier meine Eindrücke und Erfahrungen schildern.

Eintauchen in das Orwellsche 1984:
Die Konferenz kann als Blick in Orwells Buch 1984 beschrieben werden. Wer gerne zuhört, wie das Potenzial, ein Kriegsverbrechen (Erstschlag) mit einem weiteren Kriegsverbrechen (Rückschlag) zu beantworten als Sicherheitsgarant (Abschreckung) geschildert wird – ohne dass dabei „Kriegsverbrechen“ oder „Massenvernichtungswaffe“ erwähnt werden – ist bei der Überprüfungskonferenz leider ganz richtig, aber deshalb leider auch richtig falsch. So wird von Ida Büsch und Sophie Kretschmar, Mitgliedern der Jugenddelegation, in ihrem Beitrag in der TAZ [1] deutlich geschildert, wie unser aller Überleben tagtäglich vom rationalen und besonnenen Handeln einer Handvoll Menschen, die über das Kommando über Atomwaffen verfügen, abhängt. Die Konsequenzen einer einzigen falschen Entscheidung wären gravierend, denn die Anzahl atomarer Sprengköpfe genügt, um unseren Planeten mehrfach zu zerstören.

Deshalb forderten u.a. Aktivist:innen aus Japan und den Marshall-Inseln [2] – beides Nationen mit Erfahrungen der zerstörerischen Kraft nuklearer Waffen – während der Konferenz, dass die Folgen ihres Einsatzes für Menschen und Umwelt nicht weiter vernachlässigt werden. Auch forderten sie, dass ihre Regierungen dem AVV beitreten. Nicht nur können Überlebende eines Einsatzes nicht sofort behandelt oder evakuiert werden, die Folgen der Strahlen- und Umweltbelastung sind wie in Japan und Inselstaaten im Pazifik noch über Generationen hinweg spürbar. Infolge der Atomtests der USA ist das Bikini-Atoll radioaktiver als Tschernobyl und wird für zukünftige Generationen unbewohnbar bleiben. Aufgrund des nuklearen Kolonialismus der USA leiden die Bürger:innen der Marshall-Inseln unter den Folgen dieser Atomtests, für die sie und ihre Vorfahren nie ihr Einverständnis gegeben hatten [3].

Höhepunkte der Konferenz:
In einem Gespräch mit Thomas Göbel, dem deutschen Botschafter in Genf, welcher gerade die deutsche Delegation in New York leitet, haben wir uns für den AVV eingesetzt und die humanitären Folgen des Einsatzes von Atomwaffen in den Fokus gestellt. Auch haben wir betont, dass Abschreckung nicht mit unserem Sicherheitsverständnis vereinbar ist.

Beatrice Fihn, Direktorin von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), gab uns Mut und Ratschläge für zukünftigen Aktivismus und Treffen mit Länderdelegationen. In einem Gespräch mit Thomas Countryman, einem Mitglied der US-Delegation, konnten wir die Ratschläge direkt anwenden und gemeinsam mit Aktivist:innen aus den Marshall-Inseln und den USA u.a. über nukleare Teilhabe und humanitäre Folgen sprechen.

Auch konnten wir ein kurzes Treffen mit Außenministerin Baerbock organisieren [4]. Hier hatte ich die Gelegenheit, der Außenministerin unsere Delegation und die Delegation der Friedenswerkstatt Mutlangen und ICAN-Deutschlands vorzustellen. Delegierte von ICAN-Deutschland und der Friedenswerkstatt betonten daraufhin im Gespräch die Relevanz eines feministischen und intersektionalen Ansatzes.

Am Freitag wurden NGO-Statements vor den Länderdelegationen vorgetragen. Die Rede [5], die zwei ukrainische Aktivistinnen für ICAN geschrieben und gehalten haben, ist sehr gelungen und illustriert die fatalen humanitären Folgen der nuklearen Abschreckung. Zuvor hatten sie uns in einem Gespräch die aktuelle Lage in der Ukraine geschildert und die Rolle von Atomwaffen im Krieg dargestellt. Das Joint Youth-Statement [6], an dem ich gemeinsam mit Mitgliedern unserer und weiterer Jugenddelegationen beteiligt war, trugen Benetick Kabua Maddison und Yuta Takahashi vor.

Am Donnerstag hat Jiro Hamasumi seine Geschichte mit uns geteilt. Er wurde als Hibakusha (Überlebende:r eines Atomwaffeneinsatzes) geboren; der Zerstörung von Hiroshima war er als Fötus ausgesetzt. Das Trauma und gesundheitliche Folgen des Einsatzes begleiten ihn bis heute. Der Krieg wurde für ihn nie beendet, denn, so betonte er, für ihn wird es erst Frieden geben, wenn Atomwaffen nicht mehr existieren. Am Tag danach war er so freundlich, mich durch eine Ausstellung im Besuchereingang der UN zu führen, die den grauenvollen Einsätzen auf Japan gewidmet ist. Während der kurzen Führung hob er unter anderem die sehr traurigen Schicksale zweier Kinder hervor, deren Träume und Wünsche binnen Sekunden durch den Atomwaffeneinsatz zerstört wurden.

Wie geht es weiter?
Vor der Konferenz fragte ich mich regelmäßig, wie effektiver Aktivismus aussieht und wie dadurch oppressive Institutionen tatsächlich zum Besseren verändert werden können. Diese Frage kann ich auch nach der Konferenz nicht beantworten – gäbe es den perfekten Weg, Aktivismus auszuüben, sähe die Welt wahrscheinlich anders aus. Aber das heißt nicht, dass Aktivismus nutzlos oder sinnlos ist. Diplomat:innen und Politiker:innen treffen regelmäßig Entscheidungen, die gegenwärtige und zukünftige Generationen betreffen. Deshalb dürfen und sollten wir ihnen unsere Forderungen und Fragen darlegen. Für guten Aktivismus ist jedenfalls wichtig ein breites Netzwerk zu schaffen.

Die Erfahrungen, die Benetick, Yuta und Jiro Hamasumi und weitere Aktivist:innen mit mir teilten, werden mich mein Leben lang begleiten.

[1] Büsch und Kretschmar (16.082022): Vor dem Risiko eines fälschlich ausgelösten Atomkriegs warnen Ida Büsch und Sophie Kretschmar, TAZ. Verfügbar über: https://taz.de/Atomare-Ruestung/!5871749/

[2] Yuta Takahashi nahm im Rahmen seiner NGO-Tätigkeit bei Know-Nukes-Tokyo teil: https://www.know-nukes-tokyo.com/ ; Vier Aktivist:innen aus den Marshall-Inseln nahmen auch an der Konferenz im Rahmen ihrer NGO-Arbeit teil. Informationen zu Atomwaffentests auf den Marshall-Inseln gibt es hier: https://www.mei.ngo/nuclear

[3] DFG-VK (08.08.2022): Was ist Nuclear Justice? | Ein Interview mit Benetick Kabua Maddison von den Marshall Islands, YouTube. Verfügbar über: https://www.youtube.com/watch?v=pMV4av3DOYw

[4] Auswärtiges Amt (03.08.2022): Gruppenfoto mit der der Außenministerin, der Jugenddelegation der DFG-VK, und den Delegierten von Friedenswerkstatt Mutlangen und ICAN-Deutschland, Instagram. Verfügbar über: https://www.instagram.com/p/CgyxkzEob66/?utm_source=ig_web_copy_link

[5] ICAN Statement to the 2022 NPT Review Conference (05.08.2022), Reaching Critical Will. Verfügbar über: https://reachingcriticalwill.org/images/documents/Disarmament-fora/npt/revcon2022/statements/5Aug_ICAN.pdf

[6] Joint Youth Statement to the Tenth Review Conference of the Parties to the Treaty on the
Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT) (05.08.2022), Reaching Critical Will. Verfügbar über: https://reachingcriticalwill.org/images/documents/Disarmament-fora/npt/revcon2022/statements/5Aug_Youth.pdf

Copyright für das Gruppenfoto mit der Außenministerin: Photothek.de/Schmitz

PEASEC bei der NPT RevCon: Ein Einblick in die NVV-Überprüfungskonferenz als Jugenddelegierte